Aktuelle Rechtsprechung
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Zum Thema Arbeitsrecht
- Dankesformel im Arbeitszeugnis: Selbst "nervige" Korrekturwünsche berechtigen nicht zur Streichung der Schlussformel
- Einschlägigkeit ist entscheidend: Abmahnung ist nicht gleich Abmahnung
- Missstände im Unternehmen: Vorsicht bei Prangermethoden dem Arbeitgeber gegenüber
- Sachlich begründete Ungleichbehandlung: Arbeitgeber darf Inflationsausgleichsprämie auf bestimmte Arbeitnehmergruppen beschränken
- Übergriffiges Verhalten: Sexuelle Belästigung führt auch nach 19-jähriger Betriebszugehörigkeit zur fristlosen Kündigung
Unter jedem Arbeitszeugnis sollte am Ende folgender Satz stehen: "Wir bedauern das Ausscheiden sehr, bedanken uns für die stets gute Arbeit und wünschen in privater und beruflicher Hinsicht alles Gute." Tatsächlich findet sich ein solcher Satz jedoch längst nicht unter jedem Zeugnis. Ein Fehler, wie der folgende Fall zeigt, der bis vor das Bundesarbeitsgericht (BAG) ging.
Eine Arbeitnehmerin hatte selbst gekündigt und ein insgesamt sehr gutes Arbeitszeugnis erhalten. Dieses enthielt eine Schlussformel, in der der Arbeitgeber ihr für ihre Arbeit dankte, ihren Weggang bedauerte und ihr für die Zukunft alles Gute wünschte. Dennoch verlangte sie eine bessere Bewertung, die der Arbeitgeber auch vornahm. Aber in diesem zweiten Zeugnis hatte die Mitarbeiterin noch einzelne Formulierungen zu beanstanden. Per Anwaltsschreiben verlangte sie deren Korrektur unter Fristsetzung sowie Androhung "weiterer rechtlicher Schritte". Selbst diese Änderungen nahm der Arbeitgeber noch vor. In dieser finalen Zeugnisfassung ließ er aber die Schlussformel mit Dank, Bedauern und guten Wünschen weg, weshalb die Mitarbeiterin klagte - zu Recht.
Die Tatsache, dass ein Mitarbeiter eine Zeugnisänderung wünscht, berechtigt den Arbeitgeber nicht, das Arbeitszeugnis zu verschlechtern. Sonst würde der Arbeitgeber gegen das Maßregelungsverbot nach § 612 Bürgerliches Gesetzbuch verstoßen. Auch die Streichung einer Dankes- und Bedauernsformel bedeutet eine Verschlechterung. Der Arbeitgeber musste diese deshalb wieder ins Zeugnis aufnehmen.
Hinweis: Ist also in einem Arbeitszeugnis einmal eine Schlussformulierung enthalten, darf diese nach Korrekturen nicht plötzlich fehlen.
Quelle: BAG, Urt. v. 06.06.2023 - 9 AZR 272/22
zum Thema: | Arbeitsrecht |
(aus: Ausgabe 11/2023)
Der Arbeitgeber dieses Falls meinte wohl, er wäre durch den Ausspruch mehrerer Abmahnungen auf der sicheren Seite, als er einem Mitarbeiter das langjährige Arbeitsverhältnis aufkündigte. War er aber nicht, wie ihm das Arbeitsgericht Lübeck (ArbG) attestierte. Denn auch hier hat ein Arbeitgeber in Sachen Abmahnungen wieder einmal eine wichtige Voraussetzung für außerordentlich fristlose Kündigungen ignoriert.
Ein Kirchenmusiker war bei einer Kirchengemeinde seit mehr als 25 Jahren beschäftigt. Wegen seiner langjährigen Beschäftigung und dem daraus resultierenden Sonderkündigungsschutz konnte dem Mann also nicht mehr ordentlich gekündigt werden. Er erhielt im Jahr 2022 bereits drei Abmahnungen. Im Dezember 2022 sagte der Kirchenmusiker gegenüber dem Gemeindebüro verbindlich die musikalische Begleitung einer vier Tage später stattfindenden Trauerfeier zu. Noch am selben Tag sprach der zuständige Pastor die für die Trauerfeier vorgesehene Liederauswahl auf den Anrufbeantworter des Musikers. Dieser erschien aber nicht zur Trauerfeier und war auch telefonisch nicht erreichbar. Einer Bitte des Pastors um Rückruf kam er auch nicht nach. Drei Tage später entschuldigte er sich per E-Mail und begründete sein Fehlen mit einem seit Tagen anhaltenden Dauereinsatz für ein Kindermusical. Die Kirchengemeinde ging von einem vorsätzlichen Verhalten aus und kündigte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos. Dagegen klagte der Kirchenmusiker.
Das ArbG gab dem Musiker recht und damit der Kündigungsschutzklage statt. Die Richter konnten keinen Vorsatz beim Verpassen des Termins feststellen. Das fahrlässige Übersehen der Trauerfeier, die fehlende Erreichbarkeit und das Verhalten im Nachhinein waren zwar gravierende Vertragsverstöße, reichten allein aber nicht für eine außerordentliche Kündigung, für die einschlägige Abmahnungen erforderlich gewesen wären. Die gegenüber dem Kirchenmusiker bereits ausgesprochenen Abmahnungen bezogen sich aber auf ganz andere Themen und konnten deshalb nicht zur Begründung der Kündigung herangezogen werden.
Hinweis: Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Es spricht aber vieles dafür, dass sie richtig ist. Vor den meisten verhaltensbedingten Kündigungen ist zunächst eine Abmahnung erforderlich. Doch nicht jede Abmahnung taugt als Vorbereitung für eine Kündigung.
Quelle: ArbG Lübeck, Urt. v. 15.06.2023 - 6 Ca 1410/22
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(aus: Ausgabe 11/2023)
Als Arbeitnehmer Missstände in Unternehmen aufzuklären, ist zwar nach wie vor heikel, wenngleich nicht mehr unmöglich - auch dank externer Meldestellen. Was aber nach wie vor nicht geht, ist, Verdachtsmomente ohne jegliche Prüfung offiziell zu machen. Denn was dann passiert, machte das Landesarbeitsgericht Thüringen (LAG) deutlich.
Ein in einer Klinik beschäftigter Therapeut war davon überzeugt, dass sein Arbeitgeber für den Tod eines Patienten mitverantwortlich sei. Der Patient hatte ihm vor seinem Tod mitgeteilt, dass er mehrfach vergeblich um eine Untersuchung durch einen Facharzt gebeten habe. Außerdem sei seine Patientenakte entfernt und manipuliert worden. Der Mitarbeiter veröffentlichte diese Vorwürfe im Internet auf einer Gedenkseite, die er für den Patienten eingerichtet hatte. Zudem prangerte er seinen Arbeitgeber in einem Internetartikel sowie in einem Brief an. Letzterer war adressiert mit "Fachklinik für Bossing & Mobbing inkl. Verleumdungen und Datenschutzverletzungen". Der Arbeitgeber kündigte deshalb fristlos, wogegen der Mitarbeiter klagte - jedoch vergeblich.
Das LAG konnte nicht anders, als die Klage abzuweisen. Denn der Therapeut hatte sich mit seinen Vorwürfen allein auf die Aussagen des Patienten verlassen, ohne diese in irgendeiner Weise zu prüfen. Aber genau dazu wäre er verpflichtet gewesen.
Hinweis: Auch nach Inkrafttreten des Hinweisgeberschutzgesetzes im Juli 2023 dürfen Arbeitnehmer keine leichtfertigen Anschuldigungen erheben. Sie sind zudem verpflichtet, sich vor einer Veröffentlichung an eine interne oder externe Meldestelle zu wenden.
Quelle: LAG Thüringen, Urt. v. 19.04.2023 - 4 Sa 269/22
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(aus: Ausgabe 11/2023)
Wenn ein Arbeitnehmer eine Zahlung bekommt, heißt das noch lange nicht, dass anderen auch ein solcher Anspruch zusteht. Denn auch beim arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz sind Ausnahmen erlaubt - und zwar in den Fällen, die sachlich nachvollziehbar begründet werden können. So verhielt es sich auch in diesem Fall vor dem Arbeitsgericht Paderborn (ArbG).
Seit dem Jahr 2009 war eine Verkäuferin in Teilzeit beschäftigt. Die Arbeitgeberin hatte allen bei ihr beschäftigten Arbeitnehmern den Abschluss neuer Arbeitsverträge angeboten. Die Verkäuferin hatte das Angebot nicht angenommen. Im Jahr 2022 bekam sie keine Jahressonderleistung. Sie klagte die Zahlung ein, und die Arbeitgeberin zahlte daraufhin, woraufhin der Rechtsstreit für erledigt erklärt wurde. Wenige Zeit später wurden die Mitarbeiter darüber informiert, dass allen Mitarbeitern, die keine Sonderleistungen erhalten hatten, aufgrund der steigenden Inflation eine Inflationsausgleichsprämie in Höhe von 1.000 EUR netto ausgezahlt werden. Teilzeitkräfte erhielten diese entsprechend anteilig. Die Verkäuferin erhielt keine Zahlung - und sie klagte wieder. Unter Berücksichtigung ihrer Teilzeittätigkeit verlangte sie 666 EUR und meinte, sie hätte einen Anspruch aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz.
Das ArbG hat ihre Klage auf Zahlung der anteiligen Inflationsausgleichsprämie abgewiesen. Die Arbeitgeberin durfte nach sachlichen Gründen differenzieren, welcher Arbeitnehmergruppe sie einen Inflationsausgleich zukommen lassen wollte und welcher nicht. Es ging der Arbeitgeberin um eine Angleichung der Arbeitsbedingungen. Nach § 612a Bürgerliches Gesetzbuch darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer nicht deshalb benachteiligen, weil der Arbeitnehmer in zulässiger Weise seine Rechte ausübt. Denn ein Arbeitnehmer darf verlangen, dass eine rechtswidrige Benachteiligung durch den Arbeitgeber beseitigt wird. Die Beseitigung kann nur dadurch erfolgen, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer so stellt, wie er ohne die Maßregelung stünde. Die Rechtsausübung durch die Verkäuferin war aber nicht kausal für die von der Arbeitgeberin vorgenommene Maßnahme. Denn die Verkäuferin hatte ja nicht deshalb kein Geld bekommen, als sie keinen neuen Arbeitsvertrag unterschrieben hatte. Grund für die Zahlung war die Inflation. Hier hatte die Arbeitgeberin bei der Verteilung in zulässiger Weise zwischen jenen Arbeitnehmern differenziert, die bereits die Sonderzahlung erhalten hatten, und solchen Arbeitnehmern, die eine solche nicht erhalten hatten.
Hinweis: Generell muss Gleiches stets gleich behandelt werden, es sei denn, es gibt einen sachlichen Grund für die Ungleichbehandlung - so wie in diesem Fall.
Quelle: ArbG Paderborn, Urt. v. 06.07.2023 - 1 Ca 54/23
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(aus: Ausgabe 11/2023)
Wieder einmal wurde ein Arbeitsverhältnis aufgrund einer sexuellen Belästigung beendet, die das Arbeitsgericht Berlin (ArbG) in erster Instanz für glaubwürdig erachtete. Und eine solche schwerwiegende Pflichtverletzung kann nicht nur strafrechtlich relevant sein - sie erspart dem Arbeitgeber auch, im Vorfeld eine Abmahnung zu erteilen.
Eine Arbeitnehmerin hatte über Rückenschmerzen geklagt. Mit ihrer Einwilligung berührte ein Kollege, der hinter der Arbeitnehmerin saß, zunächst ihren Rücken, der nach Hochschieben ihrer Oberbekleidung und Öffnen des BH unbekleidet war, um diesen abzutasten. Dann aber soll der Arbeitnehmer ohne Einverständnis der betroffenen Kollegin seine Hände unter deren BH geschoben und auf ihre unbekleideten Brüste gelegt haben. Daraufhin erhielt er eine fristlose Kündigung, gegen die der Arbeitnehmer klagte.
Tatsächlich hat er seine Klage in der ersten Instanz verloren. Denn nach einer persönlichen Anhörung des Arbeitnehmers und der Vernehmung der betroffenen Kollegin als Zeugin bewertete das ArbG die Angabe des Arbeitnehmers für eine Schutzbehauptung, es habe sich um ein unbeabsichtigtes seitliches Streifen der Brüste bei dem Versuch gehandelt, den BH wieder zu schließen. Die Schilderung der Kollegin hielt das Gericht hingegen für durchaus glaubhaft. Anhaltspunkte dafür, die Kollegin wolle den Kläger zu Unrecht einer sexuellen Belästigung bezichtigen, waren zudem nicht zu erkennen. Auch eine Abmahnung war wegen der Schwere der Pflichtverletzung entbehrlich. Dabei half dem Arbeitnehmer auch seine 19-jährige Unternehmenszugehörigkeit nichts.
Hinweis: Gegen das Urteil ist noch eine Berufung möglich. Es ist schwer abzuschätzen, wie das Landesarbeitsgericht entscheiden wird. Letztendlich steht Aussage gegen Aussage. Aber wir sind hier nicht im Strafrecht. Es geht um eine Klage gegen eine Kündigung. Der Arbeitgeber hat eine Zeugin für das Fehlverhalten, nämlich die belästigte Frau.
Quelle: ArbG Berlin, Urt. v. 06.09.2023 - 22 Ca 1097/23
zum Thema: | Arbeitsrecht |
(aus: Ausgabe 11/2023)
Zum Thema Verkehrsrecht
- Fahrzeugsuche nach Totalschaden: Fahrtkosten innerhalb 100-km-Radius um dörflichen Wohnort erstattungsfähig
- Gebührentatbestand nicht erfüllt: Berliner Polizei muss Gebühren an Klimaaktivisten vorläufig zurückerstatten
- Porsche sichergestellt: Völlige Uneinsichtigkeit nach gefährlichem Überholmanöver lässt Wiederholungsgefahr annehmen
- Vollständige Kostenübernahme unklar: Restwertangebot des Versicherers darf keine Zusatzbelastung für Geschädigten enthalten
- Zugunsten der Fahrschüler: Fahrschule darf nach Verkehrsunfall trotz Schadensminderungspflicht typgleichen Ersatzwagen anmieten
Oftmals ist bei Gerichtsentscheidungen die Rede von Aufwendungen, die ein sogenannter verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten darf. Der Fall des Amtsgerichts Itzehoe (AG) zeigt hervorragend auf, was in der Praxis darunter zu verstehen ist. Denn wenn ein Versicherer sich auf eine übliche Pauschale zurückziehen möchte, betrachtet das Gericht die konkrete Situation.
Ein Autofahrer erlitt einen unverschuldeten Unfall, bei dem sein Fahrzeug einen Totalschaden erlitt. Neben dem reinen Sachschaden verlangte der Geschädigte zudem Zahlung von Fahrtkosten für die Suche nach einem Ersatzfahrzeug. Er wohne auf dem Land, so dass er weite Wege zurücklegen musste, um sich Fahrzeuge ansehen zu können. So habe er in drei Städten in rund 100 km Entfernung geschaut, für ein Fahrzeug sei er sogar 400 km gefahren. Die Versicherung verweigerte die Zahlung jedoch zum großen Teil. Sie war der Ansicht, der Aufwand sei unangemessen hoch gewesen.
Das AG entschied, dass zumindest der Großteil der Kosten von dem Versicherer zu übernehmen sei. Wenn ein Geschädigter auf dem Dorf wohne und daher keine Auswahl an Autohändlern in seiner Nähe habe, seien die Fahrtkosten nicht von der üblicherweise zu zahlenden Pauschale abgedeckt. Der Versicherer habe die Kosten im angemessenen Umfang zu übernehmen. Als angemessen sei ein Suchradius von 100 km um den Wohnort herum anzusehen. Dementsprechend sei eine Fahrt in ein 400 km entferntes Autohaus nicht mehr davon umfasst. Zudem sei ein Geschädigter nicht verpflichtet, ein einmal besichtigtes Fahrzeug sofort zu kaufen.
Hinweis: Fahrtkosten sind zu erstatten, sofern sie mit dem zum Ersatz verpflichtenden Ereignis in einem adäquat ursächlichen Zusammenhang stehen. Erforderlich sind solche Aufwendungen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten für zweckmäßig und notwendig halten durfte.
Quelle: AG Itzehoe, Urt. v. 19.05.2023 - 94 C 61/22
zum Thema: | Verkehrsrecht |
(aus: Ausgabe 11/2023)
Am folgenden Fall des Verwaltungsgerichts Berlin (VG) scheiden sich die Geister - nicht nur die motorisierter Verkehrsteilnehmer. Denn es geht um die Aktionen der Letzten Generation. Und da augenscheinlich zumeist Kraftfahrzeugfahrer zu den Leidtragenden der Klebeaktionen gehören, haben wir diesen Beitrag auch im Verkehrsrecht angesiedelt. Die Frage war, ob die Berliner Polizei berechtigt ist, Gebühren von Demonstrierenden der Klimabewegung dafür zu verlangen, dass sie deren Klebeverbindung auflöst und die Personen vom Ort wegträgt.
Der Antragsteller hatte sich im Juni 2022 zusammen mit mehreren anderen Personen auf einer Straßenkreuzung in Berlin festgeklebt, um so gegen die Klimapolitik der Bundesregierung zu demonstrieren. Nachdem er durch die Polizei zum Verlassen der Fahrbahn aufgefordert worden war, dem aber nicht nachgekommen ist, lösten Einsatzkräfte die Klebeverbindung und trugen ihn von der Fahrbahn. Dafür erhob die Polizei Berlin von ihm eine Gebühr in Höhe von 241 EUR. Die Begründung: Der Straßenverkehr sei durch die Sitzblockade des Antragstellers erheblich behindert worden, was eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dargestellt habe. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren hat der Antragsteller hiergegen Klage erhoben, über die noch nicht entschieden ist.
Der Eilantrag gegen den kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Gebührenbescheid hatte vor dem VG Erfolg. Nach Auffassung des Gerichts erfasst der von der Polizei herangezogene Gebührentatbestand die vorliegende Konstellation nicht. Zwar sieht die Tarifstelle 8 des Gebührenverzeichnisses vor, dass vom Gebührenschuldner für die unmittelbare Ausführung von Maßnahmen und für Ersatzvornahmen zur Gefahrenabwehr für Personen in Notlagen je Einsatzfall 241 EUR zu fordern ist. Diese Voraussetzung habe hier allerdings nicht vorgelegen. Denn bei der zugrundeliegenden Maßnahme hat es sich weder um eine Ersatzvornahme noch um eine unmittelbare Ausführung gehandelt.
Eine Ersatzvornahme liegt nur bei einer vertretbaren Handlung vor, deren Vornahme durch einen anderen möglich sei. Das sei hier gerade nicht der Fall, weil nur der Antragsteller selbst sich habe entfernen können. Es habe sich aber ebenso wenig um eine unmittelbare Ausführung gehandelt. Denn diese setze eine polizeiliche Maßnahme voraus, die ohne den Willen des Pflichtigen durchgeführt wurde - nicht aber (wie hier) gegen diesen.
Wenn dies anders zu beurteilen sein sollte, habe die Maßnahme ausweislich der Begründung des Gebührenbescheids jedenfalls nicht der Gefahrenabwehr für Personen gedient, sondern allein dem Zweck, den ungehinderten Straßenverkehr zu ermöglichen.
In Folge der Entscheidung muss die Polizei dem Antragsteller die bereits gezahlte Gebühr vorerst zurückerstatten.
Hinweis: Da eine Gebührenerhebung wegen Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nicht bundeseinheitlich, sondern durch jedes Bundesland selbst geregelt wird, kann die Rechtslage in anderen Bundesländern abweichen. Dasselbe gilt für Einsätze der Bundespolizei.
Quelle: VG Berlin, Beschl. v. 21.09.2023 - VG 1 L 363/23
zum Thema: | Verkehrsrecht |
(aus: Ausgabe 11/2023)
Eheleute sollten füreinander einstehen. Und genau das tat eine Frau vor dem Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (OVG). Das OVG sollte das Urteil der Vorinstanz überprüfen. Doch das Gericht konnte ihr ihren sichergestellten Premiumflitzer ebenso wenig wiedergeben, wie es ihren Gatten entlasten konnte. Denn dieser verhielt sich so renitent, dass sich die Gerichte vielmehr gezwungen sahen, auf die öffentliche Sicherheit abzustellen. Aber lesen Sie selbst.
Im April 2023 befuhr der Ehemann der Antragstellerin mit deren Pkw - einem Porsche - eine Bundesstraße. In der Gegenrichtung war ein Funkstreifenwagen unterwegs. Die Polizeibeamten beobachteten, wie das hinterste der fünf ihnen entgegenkommenden Fahrzeuge - der betreffende Porsche - einen vor ihm fahrenden schwarzen Pkw überholte, aber danach nicht wieder einscherte. Dabei war er nur noch ca. 200 m bis 250 m von dem ihm entgegenkommenden Funkstreifenwagen entfernt. Stattdessen fuhr er mit gleichbleibend hoher Geschwindigkeit auch an einem Kastenwagen vorbei. Um eine Frontalkollision zu vermeiden, bremste der Fahrer des Funkstreifenwagens bis zum Stillstand ab und lenkte das Auto nach rechts an den Fahrbahnrand, um Platz zu schaffen. Der Porsche fuhr währenddessen an dem Kastenwagen vorbei und wechselte etwa 15 m vor dem bereits stehenden Funkstreifenwagen zurück auf die eigene Fahrbahnrichtung. Beim Wiedereinscheren mussten der schwarze sowie der weiße Wagen ebenfalls bremsen, um Platz zu machen und dadurch eine Kollision zu vermeiden.
Der Porschefahrer konnte im Anschluss angehalten werden, wobei die Polizisten den Porsche zur Gefahrenabwehr sicherstellten. Weiter wurde dem Fahrer die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis und die Beschlagnahme des Führerscheins eröffnet. Gegen die Sicherstellung legte die Antragstellerin Widerspruch ein und suchte um vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz nach, den das Verwaltungsgericht (VG) mit der Begründung ablehnte, die Sicherstellung sei rechtlich nicht zu beanstanden.
Die gegen den Beschluss des VG eingelegte Beschwerde der Antragstellerin wurde zurückgewiesen. Denn das OVG teilte - auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren - die Auffassung der Vorinstanz. Die Aussagen der beiden an dem Vorfall beteiligten Polizeibeamten sowie der weiteren Zeugen ließen alleine den Schluss zu, dass der Ehemann der Antragstellerin bei seinem Überholvorgang rücksichtslos und grob verkehrswidrig gehandelt und damit die öffentliche Sicherheit beeinträchtigt habe. Der Ansicht der Antragstellerin, eine Gefahrensituation habe bei Erlass der Sicherstellungsanordnung deshalb nicht bestanden, weil ihrem Ehemann die Fahrerlaubnis nun ja bereits vorläufig entzogen worden sei, könne nicht gefolgt werden.
Zwar bestehe kein allgemeiner Erfahrungssatz, wonach ein von der Polizei ertappter "Verkehrssünder" sich generell unbelehrbar zeige und von den ihm angedrohten Bußgeldern, Fahrverboten und Punkten unbeeindruckt bleibe. Einen solchen Erfahrungssatz habe das VG hier aber auch gar nicht erst angenommen, sondern auf die besonderen Umstände des Einzelfalls abgestellt - und zwar auf das konkrete Verhalten des Ehemanns der Antragstellerin.
Dabei sei nun auch das OLG zutreffend zu dem Ergebnis gelangt, dass die handelnden Polizeibeamten im vorliegenden Ausnahmefall aufgrund seines Verhaltens davon ausgehen durften, dass die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nicht ausreiche, um einer gegenwärtigen Gefahr für die öffentliche Sicherheit durch weitere erhebliche Verkehrsverstöße des Ehemanns mittels des von ihm geführten Fahrzeugs zu begegnen. Der Mann habe sich von seinem grob verkehrswidrigen, mehrere Verkehrsteilnehmer erheblich gefährdenden Verhalten völlig unbeeindruckt gezeigt.
Er habe trotz der ihm von den handelnden Polizeibeamten vor Augen geführten Gefährlichkeit seines Überholmanövers jedwede Einsicht vermissen lassen. So habe er ausweislich der Sachverhaltsdarstellung der Polizeibeamten diesen gegenüber angegeben, der ihm aufgrund des Überholmanövers eröffnete Vorwurf der Gefährdung des Straßenverkehrs wegen groben Fehlverhaltens beim Überholen sei lächerlich. Es sei schließlich nichts passiert. Diese Interpretation der Geschehnisse lasse völlig außer Acht, dass sein äußerst gefährlicher Überholvorgang augenscheinlich nur deshalb keine Kollision mit den übrigen Verkehrsteilnehmern zur Folge gehabt habe, weil sowohl der Polizeibeamte als auch die beiden Zeugen diese durch geistesgegenwärtiges Abbremsen bzw. Ausweichmanöver verhindert hätten. Das fehlende Einsichtsvermögen des Ehemanns der Antragstellerin werde noch unterstrichen durch seine weitere Angabe gegenüber den Polizeibeamten, er habe bereits zwei Millionen Kilometer Fahrstrecke ohne Zwischenfälle absolviert, so dass ein Fehler seinerseits völlig ausgeschlossen sei.
Hinweis: Nach § 22 des Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes kann die Polizei eine Sache sicherstellen, um eine gegenwärtige Gefahr abzuwehren. Bei schwerwiegenden bzw. erheblichen Verkehrsverstößen - Straßenrennen bis zum rechtswidrigen Gebrauch von Behindertenparkplätzen, von Fahren ohne Fahrerlaubnis bis zu groben Geschwindigkeitsverstößen - hält die Rechtsprechung vielfach die Sicherstellung bzw. Beschlagnahme von Fahrzeug und Fahrzeugschlüssel für statthaft, um der Gefahr weiterer Begehung von Verkehrswidrigkeiten und der damit einhergehenden Störung der öffentlichen Sicherheit vorzubeugen.
Quelle: OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 29.08.2023 - 7 B 10593/23.OVG
zum Thema: | Verkehrsrecht |
(aus: Ausgabe 11/2023)
Ist ein Unfallfahrzeug bei Eingang eines sogenannten Überangebots des Haftpflichtversicherers noch nicht verkauft worden, kann das dazu führen, dass der Geschädigte es nicht mehr zum niedrigeren Betrag verkaufen darf. Sonst dürfte der Versicherer auf der Grundlage des Überangebots abrechnen. Der Fall des Amtsgerichts Viechtach (AG) zeigt eine Ausnahme von dieser Regel auf.
Für Haftplichtversicherer gehören sogenannte Restwertbörsen zur täglichen Abwicklungspraxis, da die Verkaufsplattformen für Unfallfahrzeuge zur Minimierung des von der Versicherung zu tragenden Schadensaufwands beitragen. Es kommt häufig vor, dass die Haftpflichtversicherung des Unfallgegners dem Geschädigten ein höheres Restwertangebot unterbreitet als die Summe, die der beauftragte Sachverständige ermittelt hat. Ist das Unfallfahrzeug bei Eingang dieses höheren Restwertangebots noch nicht verkauft worden, kann das dazu führen, dass der Geschädigte es nicht mehr zum niedrigeren Betrag verkaufen darf, der Versicherer also bei der Abrechnung des Fahrzeugschadens das von ihm benannte höhere Restwertangebot berücksichtigt und somit im Endeffekt weniger zahlen muss als laut Schadensgutachten. Dies liegt daran, dass bei Totalschaden die Versicherung nur die Differenz zwischen Wiederbeschaffungswert und Restwert zahlt.
Hier hatte ein Autofahrer einen unverschuldeten Unfall, bei dem sein Fahrzeug einen wirtschaftlichen Totalschaden erlitt. Das eingeholte Sachverständigengutachten ermittelte einen Restwert von 3.000 EUR. Im Rahmen der Schadensregulierung unterbreitete die Versicherung ein höheres Restwertangebot von etwas über 4.000 EUR. Der Geschädigte widersprach der hohen Restwertansetzung, da dem ihm präsentierten Angebot nicht zu entnehmen gewesen sei, wie genau der ihm offerierte Ankauf erfolgen sollte. Die Versicherung bestand jedoch auf den höheren Betrag, und deshalb ging die Sache vor Gericht.
Das AG gab dem Geschädigten recht. Wenn eine Versicherung ein Restwertangebot unterbreitet, müssen alle Bedingungen für den Verkauf genannt werden, die es dem Geschädigten klar machen, dass ihm keine Nachteile entstehen. Das war hier nicht der Fall gewesen, da keinerlei Angaben über den Übergabeort enthalten waren. Es habe nur geheißen: "Bei dem Verkauf entstehen keine Kosten. Der Kaufpreis wird auf Wunsch bei Übergabe in bar bezahlt." Damit habe der Geschädigte aber nicht erkennen können, ob der Wagen abgeholt werde oder ob er ihn bringen müsse. Es müsse laut AG aber klar geregelt sein, dass eine kostenlose Abholung erfolgen werde, da der Geschädigte keinerlei Aufwendungen haben dürfe. Insbesondere ergebe sich die Abholung des Fahrzeugs entgegen der Ansicht der beklagten Haftpflichtversicherung auch nicht aus der im Restwertangebot zugesicherten vollständigen Kostenübernahme. Denn die dahingehende Formulierung kann aus der maßgeblichen Sicht des Geschädigten in ebenso nachvollziehbarer Weise auch bedeuten, dass er zur Lieferung des Fahrzeugs verpflichtet sei und lediglich die ihm hierdurch entstehenden Kosten erstattet werden. Er sei daher berechtigt gewesen, das Fahrzeug zu dem im Gutachten genannten Preis zu verkaufen.
Hinweis: Das Oberlandesgericht München hatte in einer Entscheidung (Urteil vom 21.10.2011 - 10 U 2304/10) ausgeführt, dass für den Geschädigten die Annahme eines ihm präsentierten Restwertangebots mit keinerlei Zusatzbelastungen verbunden sein darf, das heißt, die kostenlose Abholung des Fahrzeugs muss verbindlich zugesagt sein.
Quelle: AG Viechtach, Urt. v. 11.05.2023 - 4 C 14/23
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(aus: Ausgabe 11/2023)
Grundsätzlich kann der Geschädigte nach einem Verkehrsunfall die Kosten für einen Mietwagen ersetzt verlangen. Allerdings ist ein Ersatz nur insoweit zu leisten, als der Betrag objektiv erforderlich ist, um der vertragsgemäßen Schadensminderungspflicht nachzukommen. Das Amtsgericht München (AG) musste entscheiden, ob es einer Fahrschule zugestanden werden kann, ein typgleiches Fahrzeug anzumieten. Das AG sagte ja - lesen Sie hier, warum.
Nach einem unverschuldeten Verkehrsunfall mietete der Inhaber einer Fahrschule ein typengleiches Fahrzeug an. Seine Schadensersatzansprüche trat er an die Autovermietung ab, die die Mietwagenkosten in voller Höhe von der gegnerischen Haftpflichtversicherung ersetzt verlangte. Bei dem verunfallten Fahrzeug hat es sich um einen Audi A3 gehandelt, und ein entsprechendes Fahrzeug wurde dann auch angemietet. Die Haftpflichtversicherung argumentierte jedoch mit Verweis auf die Schadensminderungspflicht, dass die Anmietung zu überhöhten Kosten erfolgt sei. In dem betreffenden Zeitraum hätte ein günstigerer Fahrschulwagen angemietet werden können.
Das AG entschied jedoch anders, und zwar, dass die Fahrschule durchaus einen typgleichen Ersatzwagen anmieten durfte. Es ist nicht zumutbar, auf ein anderes Modell auszuweichen. Denn es sei amtsbekannt, dass es für Fahranfänger außerordentlich wichtig ist, ihre Fahrstunden und Prüfungsstunden in dem von ihnen gewohnten Fahrzeugmodell zu absolvieren. Selbst erfahrene Fahrzeugführer bräuchten eine gewisse Zeit, um sich auf ein neues Fahrzeugmodell einzustellen. Für einen solchen Umgewöhnungeffekt, der sich im späteren Fahralltag einstellt, bezahlen die Fahrschüler jedoch nicht ihre Fahrstunden.
Hinweis: Als erforderlich sind Aufwendungen anzusehen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten machen würde. Dabei besteht die Verpflichtung des Geschädigten, den Schaden möglichst gering zu halten, um seiner Schadensminderungspflicht nachzukommen. In der Rechtsprechung ist daher anerkannt, dass ein Mietfahrzeug in der Regel eine Klasse kleiner sein sollte als das beschädigte Fahrzeug. Nach der Entscheidung des AG gilt dies jedoch nicht bei Fahrschulwagen.
Quelle: AG München, Urt. v. 09.08.2023 - 322 C 13019/22
zum Thema: | Verkehrsrecht |
(aus: Ausgabe 11/2023)
Zum Thema Sonstiges
- 40 Jahre alte Kindesentführung: Damaliges Opfer wehrt sich erfolgreich gegen filmische Verwendung von Fotos und Brief
- Abgerittener Renngaul? Dressur- und Springausbildung sind beim Kauf eines gesunden elfjährigen Pferds keine Nachteile
- Beweislastverteilung: Wenn 120.000 EUR im Bankschließfach fehlen
- Schadensersatzanspruch verneint: Landgericht sieht keine Pflichtverletzung eines Anwalts während Vergleichsverhandlungen
- Vorsicht vor Hacks: Keine konkrete Vorgaben für Sicherheitsvorkehrungen im geschäftlichen E-Mail-Verkehr
Eine Straftat wie die hier betreffende Kindesentführung gehört zum sogenannten Zeitgeschehen, und das bedeutet, dass Medien die Aufgabe zukommt, dieses Verbrechen der Öffentlichkeit darzulegen. Wo aber liegt hier die Grenze? Ist es zulässig, auch noch über 40 Jahre später die damaligen Opfer mit Bildnissen in sehr persönlicher Weise in ihrer Opferrolle darzustellen? Diese Frage ging bis vor den Bundesgerichtshof (BGH), und wie dieser antwortete, lesen Sie hier.
Eine Frau war im Jahr 1981 als Achtjährige entführt und etwa fünf Monate später nach Zahlung eines Lösegelds freigelassen worden. Der Journalist T. hatte damals zwischen deren Eltern und den Entführern vermittelt. Eine Rundfunkanstalt sendete in ihrem Programm den Filmbeitrag "Entführte Kinder - Die Fälle K. und v. G" und hielt diesen im Internet zum Abruf bereit. Im Mittelpunkt des Beitrags stand der Journalist T., der erstmals öffentlich seine Erinnerungen an diese und an eine andere Kindesentführung schilderte. Im Filmbeitrag wurden zwei Fotos des Opfers gezeigt, die einige Wochen vor der Entführung gemacht und den Ermittlungsbehörden übergeben worden waren. Sie dienten während der Entführung, die nicht aufgeklärt werden konnte und mittlerweile verjährt ist, zur öffentlichen Suche. Auf einem weiteren im Filmbeitrag gezeigten Bild war das Mädchen gemeinsam mit seiner Mutter auf der Titelseite einer Illustrierten zu sehen. Dieses Foto war nach der Freilassung des Kindes aufgenommen worden. Zudem wurden ein von dem Kind während ihrer Entführung geschriebener Brief und der Audiomitschnitt eines ebenfalls während der Entführung geführten Telefongesprächs wiedergegeben. Das damals entführte Kind - heute eine erwachsene Frau - verlangte nun von der Rundfunkanstalt die Unterlassung von Teilen der Filmberichterstattung, insbesondere die Wiedergabe von drei Lichtbildern, des Briefs und des Audiomitschnitts.
Der BGH gab der Klage der Frau statt. Eine solche Straftat gehöre zwar durchaus zum Zeitgeschehen, dessen Vermittlung Aufgabe der Medien sei. Dennoch überwiegen die schutzwürdigen Interessen der Medien nicht diejenigen der damaligen Opfer, wenn es denen um den Schutz davor geht, dass ihre Bildnisse Jahrzehnte nach der Entführung dazu verwendet werden, sie in sehr persönlicher Weise in ihrer Opferrolle darzustellen.
Hinweis: Medien haben eine besondere Verantwortung, insbesondere gegenüber den Opfern einer Straftat. Das wird gelegentlich vergessen.
Quelle: BGH, Urt. v. 06.06.2023 - VI ZR 309/22
zum Thema: | Sonstiges |
(aus: Ausgabe 11/2023)
Käufe und Verkäufe von Tieren finden täglich tausendfach in Deutschland statt. Und selbstverständlich gibt es auch hierbei Regeln. Ob eine fehlerhafte Formulierung im Kaufvertrag über ein Pferd so regelwidrig ist, dass sie automatisch einen Rücktritt vom Kaufvertrag ermöglicht oder gar den Umstand einer Täuschung erfüllt, musste das Oberlandesgericht Oldenburg (OLG) entscheiden.
Eine Frau kaufte ein Pferd für 4.500 EUR. Im Kaufvertrag war angegeben, dass das Pferd nur freizeitmäßig geritten worden sei und keine Dressur- und Springausbildung habe. Nach der Übergabe des Pferds stellte sich heraus, dass es früher als Rennpferd eingesetzt worden war. Die Käuferin erklärte den Rücktritt vom Kaufvertrag, hilfsweise die Anfechtung wegen Täuschung. Als die Verkäuferin die Ansprüche ablehnte, klagte die Käuferin.
Allerdings wies das zuständige Landgericht die Klage ab - eine Entscheidung, die das OLG nun auch bestätigte. Stellt sich nach dem Kauf eines gesunden elf Jahre alten Pferds heraus, dass dieses früher als Rennpferd eingesetzt worden war, stellt dies keinen Mangel der Kaufsache dar. Degenerative Gelenkerkrankungen stehen generell in keinem Zusammenhang mit einer früheren Nutzung als Rennpferd, sondern beruhen vielmehr auf Alter, Art und Qualität der Haltung des Tiers. Bei einem elf Jahre alten Tier ist insofern ohnehin mit Veränderungen zu rechnen. Zudem habe ein Sachverständiger festgestellt, dass Einschränkungen in der "Nutzbarkeit" bei einem ehemaligen Rennpferd nicht eher zu erwarten seien als bei einem Pferd, das nur als Freizeitpferd genutzt worden sei. Auch die anderslautende Formulierung im Kaufvertrag rechtfertige keine andere Entscheidung, da diese so zu verstehen sei, dass aus einer fehlenden Ausbildung gerade eben keine Ansprüche hergeleitet werden sollten. Umgekehrt könne daher nicht gefolgert werden, dass die Parteien rechtsverbindlich vereinbart hätten, das Pferd sei von jeher nur als Freizeitpferd genutzt worden.
Hinweis: Bei Mängeln am Kaufgegenstand - sei es eine Sache oder ein Tier - kann der Rechtsanwalt weiterhelfen.
Quelle: OLG Oldenburg, Urt. v. 16.08.2023 - 4 U 72/22
zum Thema: | Sonstiges |
(aus: Ausgabe 11/2023)
Wer sich ein Bankschließfach anmietet, hat womöglich mehr Werte zu sichern, als die eigenen vier Wände zu schützen imstande sind. Der Fall des Landgerichts Dortmund (LG) zeigt auf, was dabei zu beachten ist. Denn nicht nur die Bank trägt hierbei Verantwortung - auch Mieter eines Schließfachs müssen auf Nummer sicher gehen, um im Verlustfall beweisen zu können, dass verwahrte Werte abhanden gekommen sind.
Eine Frau hatte bei einer Bank ein Schließfach und einen entsprechenden Mietvertrag über das Schließfach abgeschlossen. Im Mietvertrag war vereinbart worden, dass die Bank einen Betrag bis zu 200.000 EUR gegen Zerstörung, Beschädigung und Einbruchsdiebstahl/Raub versichern würde. Die Frau erteilte auf einem Vordruck unter anderem ihrem Ehemann eine Vollmacht, die sie nur vier Monate später widerrief. Am selben Tag hob die Frau von ihrem Konto 125.000 EUR in bar ab, von denen sie eigenen Angaben zufolge 120.000 EUR sogleich im Schließfach hinterlegte. Einige Tage später wurde der Ehemann, von dem die Frau getrennt lebte, als Besucher des Schließfachs in die Besucherkartei aufgenommen. Da er von dem Widerruf keinerlei Kenntnis gehabt habe, wolle sie ihm auch keinen Vorwurf machen und auch keine Anzeige erstatten. Die Schuld treffe nur die Bank, von der sie die Summe erstattet erhalten wolle - denn das Geld war weg. Was damit passiert sei, wisse die Frau nicht. Schließlich klagte sie.
Die Bank hatte zwar ihre Pflichten verletzt, indem sie dem Ehemann Zutritt zu dem Schließfach gewährt hatte. Die Richter des LG waren jedoch der Auffassung, dass durch diese Pflichtverletzung kein Schaden entstanden sei. Die Frau habe schlichtweg nicht beweisen können, dass sie das Geld in das Schließfach gelegt und dass ihr Mann das (verbotenerweise) wieder herausgenommen hatte. Ihren Ehemann als Zeugen benennen wollte sie nicht. Und so konnte sie den entsprechenden Beweis nicht pflichtgemäß erbringen - die Klage war abzuweisen.
Hinweis: Hier hätte die Frau doch lieber ihren Ehemann als Zeugen benennen sollen. So hat sie nichts erhalten. Andererseits steht zu vermuten, dass der Ehemann vermutlich nicht ausgesagt hätte, dass er die 120.000 EUR im Bankschließfach gefunden und an sich genommen habe.
Quelle: LG Dortmund, Urt. v. 16.06.2023 - 3 O 514/22
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(aus: Ausgabe 11/2023)
Jeder Rechtsanwalt hat verschiedene Aufklärungspflichten gegenüber seinen Mandanten. Diese Pflichten verschärfen sich noch, wenn ein gerichtlicher Vergleich abgeschlossen werden soll. Wenn ein Mandant den Ausführungen des Anwalts nicht folgen kann, ist er seinerseits verpflichtet, nachzuhaken, um seine Entscheidungen auf gesunder Basis zu treffen. Anderenfalls ergeht es ihm wie der Frau im folgenden Fall, den das Landgericht Lübeck (LG) beurteilte.
Eine Frau verklagte ihren Arbeitgeber, der ihr fristlos gekündigt hatte. Er hatte behauptet, sie habe sich krankschreiben lassen wollen, obwohl sie gesund gewesen sei. Dafür gebe es auch Zeugen. In der mündlichen Verhandlung schlug das Arbeitsgericht (ArbG) daher auch einen Vergleich vor, nach dem das Arbeitsverhältnis beendet sein sollte. Sonst müsse das Gericht die Zeugen des Arbeitgebers vernehmen und ein Urteil sprechen. In einer Unterbrechung des Gerichtstermins besprach die Frau sich mit ihrem Anwalt, der ihr ebenfalls zu dem gerichtlich vorgeschlagenen Vergleich riet. Ihr Lebensgefährte dolmetschte diese Besprechung. Im Anschluss schloss die Frau mit ihrem Arbeitgeber den vom Gericht vorgeschlagenen Vergleich. Als sie sich nach der Verhandlung erneut mit ihrem Anwalt besprach, war sie mit dem Vergleich aber wohl nicht mehr einverstanden. Sie gab an, sie spreche kaum Deutsch und habe den Ausführungen der Verhandlung nicht folgen können. Daher hätte der Anwalt die Hinzuziehung eines Dolmetschers beantragen müssen. Sie habe dem Vergleich nur zugestimmt, da der Anwalt behauptet hätte, dies sei die beste Lösung. Sie ist jedoch der Auffassung, sie hätte den Rechtsstreit gewonnen, da der Vorwurf nicht zutraf. Sie habe weiterarbeiten wollen und verlangte nun Schadensersatz von etwas über 4.000 EUR von ihrem Anwalt - ohne Erfolg.
Der Anwalt hatte auch laut LG alles richtig gemacht. Ein Rechtsanwalt muss seinen Mandanten vor dem Abschluss eines Vergleichs die damit zusammenhängenden Vor- und Nachteile so gewissenhaft wie möglich erklären. Dem Mandanten muss es damit möglich sein, eine eigenverantwortliche Entscheidung zu treffen. Voraussetzung dafür ist, dass er die Ausführungen und den Rat seines Anwalts auch versteht. Das alles war hier gegeben. Insbesondere lag keine Pflichtverletzung darin, der Frau zu dem Vergleichsschluss zu raten. Denn schließlich hatte das ArbG den Vergleich selbst vorgeschlagen. Auch musste der Anwalt keinen Dolmetscher hinzuziehen. Denn der Anwalt konnte gar nicht erkennen, dass die Frau der Verhandlung und der späteren Besprechung nicht folgen konnte.
Hinweis: Nerven Sie, haken Sie nach! Falls vor Abschluss eines Vergleichs Fragen oder Unklarheiten bestehen, sollten diese dem Rechtsanwalt gestellt werden - denn für deren Beantwortung ist er da.
Quelle: LG Lübeck, Urt. v. 10.08.2023 - 9 O 93/22
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(aus: Ausgabe 11/2023)
Was für fatale Auswirkungen es haben kann, wenn eine E-Mail-Adresse gehackt wird, zeigt der folgende Fall, der vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe (OLG) landete. Und dem Urteil zufolge sollten alle, die per Mailkontakt Käufe tätigen, mehr als nur einen Blick auf augenscheinliche Unstimmigkeiten werfen - wie etwa einen doppelten Rechnungserhalt wie hier. Geschieht das nicht, kann es empfindlich teuer werden.
Es ging um einen Kaufvertrag über einen gebrauchten Pkw zum Preis von 13.500 EUR. Noch am Kauftag schickte die Verkäuferin eine Rechnung mit Angabe des Empfängerkontos per E-Mail. Nur kurze Zeit darauf erhielt die Käuferin eine erneute E-Mail von der E-Mail-Adresse der Verkäuferin mit einer Rechnung im Anhang. Auf dieser war allerdings ein ganz anderes Empfängerkonto bei einer Bank in Berlin mit einem anderen Kontoinhaber angegeben. Es kam, wie es kommen musste: Die Käuferin überwies die 13.500 EUR auf das letztgenannte Konto aus der zweiten E-Mail. Als die Verkäuferin die Käuferin "nochmals" zur Zahlung aufforderte, stellte sich heraus, dass die zweite E-Mail aufgrund eines Hackerangriffs von einer unbefugten dritten Person versandt worden war. Folglich war das in der zweiten Rechnung angegebene Konto nicht das der Verkäuferin. Ihr eigenes E-Mail-Konto hielt die Verkäuferin für sicher - es war mit einem Passwort geschützt, das alle zwei bis vier Wochen geändert werde. Computer und Software der Verkäuferin wären zudem über eine Firewall geschützt, die ebenso regelmäßig aktualisiert werde. Darüber hinaus waren Computer und Software über die Vollversion einer Sicherheitssoftware geschützt. Daher klagte die Verkäuferin die 13.500 EUR ein - und erhielt Recht.
Es gibt laut OLG keine gesetzlichen Vorgaben für Sicherheitsvorkehrungen beim Versand von E-Mails im geschäftlichen Verkehr. Daher bestimmen sich die erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen nach den Sicherheitserwartungen unter Berücksichtigung der Zumutbarkeit. Selbst wenn man eine Pflichtverletzung der Verkäuferin sehen wollte, fehlte es am Nachweis der Kausalität dieser Pflichtverletzung für den eingetretenen Schaden. Es blieb also ungeklärt, wie es tatsächlich dazu gekommen war, dass die zweite E-Mail mit der ge- oder verfälschten Rechnung die Käuferin erreichte. Schließlich wäre ein unterstellter Schadensersatzanspruch der Käuferin zu kürzen, weil ein erhebliches Mitverschulden zu berücksichtigen wäre.
Hinweis: Wer sich in solchen Streitfällen auf den sachlichen Anwendungsbereich der Datenschutz-Grundverordnung berufen will, muss berücksichtigen, dass diese nur für die Verarbeitung von Informationen gilt, die sich auf eine natürliche Person beziehen - nicht also auf den allgemeinen Geschäftsverkehr.
Quelle: OLG Karlsruhe, Urt. v. 27.07.2023 - 19 U 83/22
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(aus: Ausgabe 11/2023)