Aktuelle Rechtsprechung
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Zum Thema Arbeitsrecht
- Betriebsrat außen vor: Vergütungsanpassung des Betriebsratsvorsitzenden durch gesetzliche Vorgaben geregelt
- Chef hört mit! Selbst Einführung von nichtpersonalisierten Headsets erfordert Einbeziehung des Betriebsrats
- Generationengerechtigkeit: 67-jähriger schwerbehinderter Bewerber muss von kommunalem Arbeitgeber nicht berücksichtigt werden
- Ligaklausel im Arbeitsvertrag: Abstieg erfüllt laut Arbeitsgericht nicht die erforderliche Voraussetzung für eine Sachbefristung
- Verdacht auf Gefälligkeitsattest: Bei erschüttertem Beweiswert dient Aussage des Arztes der richterlichen Überzeugungsbildung
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) musste darüber entscheiden, ob der Betriebsrat bei der Bemessung der Vergütung eines freigestellten Betriebsratsvorsitzenden ein Mitbestimmungsrecht hat. Was zwei Instanzen zuvor noch nicht final beantworten konnten, stand hier erneut auf dem Prüfstand. Und siehe da, das BAG fand ein entscheidendes Detail, um anders zu befinden.
Nachdem der freigestellte Betriebsratsvorsitzende erfolgreich ein Assessment Center "Führungskräftepotential" durchlaufen hatte, nahm die Arbeitgeberin - Betreiberin von zwei Autohäusern - diese Tatsache zum Anlass, dem Vorsitzenden eine höhere Vergütung entsprechend einer höheren Entgeltgruppe des einschlägigen Tarifvertrags zu bezahlen. Der Betriebsrat war jedoch der Ansicht, ihm stehe ein Mitbeurteilungsrecht bei der Eingruppierung nach § 99 Abs. 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) zu. Die Arbeitgeberin hielt dem entgegen, dass diese Grundsätze zur Eingruppierung auf die Vergütung von freigestellten Betriebsratsmitgliedern nicht anzuwenden seien.
Das BAG entschied, dass dem Betriebsrat in der Tat kein Mitbestimmungsrecht zustehe. Bei der Frage von höheren Löhnen und Gehältern freigestellter Betriebsratsmitglieder handele es sich nicht um eine Einordnung nach § 99 BetrVG, denn hierbei ging es schließlich nicht um Entlohnung für erbrachte Arbeit, sondern vielmehr um eine Anpassung einer Vergütung nach dem Lohnausfallprinzip. Und eben diese Erhöhung richte sich nach gesetzlichen Vorgaben, die Vergütung eines freigestellten Betriebsratsmitglieds entsprechend der betriebsüblichen Entwicklung vergleichbarer Arbeitnehmer anzupassen.
Hinweis: Betriebsräte haben viele Mitbestimmungsrechte. Doch sobald ein Gesetz eindeutige Vorgaben enthält, ergibt dieses Mitbestimmungsrecht keinen Sinn - und besteht daher schlichtweg auch nicht.
Quelle: BAG, Beschl. v. 26.11.2024 - 1 ABR 12/23
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(aus: Ausgabe 02/2025)
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) musste erneut festlegen, wann genau das Mitbestimmungsrecht von Betriebsräten greift. Klar ist, dass sämtliche Maßnahmen zur Leistungskontrolle von Arbeitnehmern der Zustimmung des Betriebsrats bedürfen. Ob Headsets dazugehören, die keine direkte Überwachungsfunktion erfüllen, war für die Entscheidung des BAG die Frage.
Eine Einzelhändlerkette für Bekleidung plante die Einführung eines Headsetsystems in einer Filiale mit mehr als 200 Beschäftigten. Die Führungskräfte sowie jeweils ein Arbeitnehmer in den Bereichen Kasse, Umkleidekabine sowie Aufräum- und Returnteam sollten verpflichtet werden, Kopfhörer und Mikrofon zu tragen. Die betroffenen Beschäftigten sollten bei Arbeitsbeginn eines dieser Headsets aufsetzen. Dabei sollte die Nummer des Headsets zwar erfasst und protokolliert werden, allerdings ohne dass die Software mitbekommt, wer welches Headset nutzt. Über die Zentrale im Mutterkonzern in Dublin in Irland konnte lediglich abgelesen werden, welche Geräte aktiv und wann sie mit der Basisstation verbunden seien. Dummerweise beteiligte der Arbeitgeber seinen lokalen Betriebsrat nicht an der Einführung des Headsetsystems. Und wie es mit Betriebsräten schnell ist: Er sah sich dadurch in seinen Mitbestimmungsrechten verletzt. Dem hielt der Arbeitgeber entgegen, dass das System über keinerlei Überwachungsfunktion verfüge und dass er mit dem Gesamtbetriebsrat eine Gesamtbetriebsvereinbarung geschlossen habe, die den Einsatz solcher Systeme regele.
Das BAG beschloss nun, dass der Arbeitgeber den Betriebsrat grundsätzlich bei der Einführung des Headsetsystems nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) zu beteiligen habe. Dies begründete das BAG damit, dass die Einrichtung einer zur Leistungsüberwachung geeigneten technischen Einrichtung nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG zwingend mitbestimmungspflichtig sei. Diese Voraussetzung sei hier gegeben, denn dazu reiche es aus, dass trotz Anonymisierung der Nutzerdaten des Systems die Headsetträger an deren Stimme und/oder deren Namen erkannt werden könnten. Nach Aussagen des Arbeitgebers seien die Vorgesetzten vor Ort immer in der Lage, das Verhalten sämtlicher in der Schicht tätiger Arbeitnehmer zu überwachen, die ein Kopfhörerset verwenden. Die betroffenen Arbeitnehmer seien deshalb einem ständigen Überwachungsdruck ausgesetzt - und dies verletze sie in ihrem Persönlichkeitsrecht. Das BAG war aber auch der Ansicht, dass das Mitbestimmungsrecht in diesem speziellen Einzelfall nicht dem lokalen Betriebsrat der Filiale zustehe. Zuständig sei vielmehr der Gesamtbetriebsrat, da das Kopfhörersystem im gesamten Unternehmen eingeführt worden sei. Es betreffe daher sämtliche Betriebe.
Hinweis: Möchte ein Arbeitgeber ein Headsetsystem zur internen Kommunikation einführen und die Beschäftigten verpflichten, dieses zu nutzen, ist der Betriebsrat also nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG unbedingt zu beteiligen.
Quelle: BAG, Beschl. v. 16.07.2024 - 1 ABR 16/23
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(aus: Ausgabe 02/2025)
Im Fall des Landesarbeitsgerichts Hamm (LAG) ging es wieder einmal mehr um die Frage, ob eine Diskriminierung wegen einer Behinderung und wegen des Alters vorlag. Der beklagte Arbeitgeber hatte gegen diese beiden Vorwürfe zwar nur ein argumentatives Blatt auf der Hand - dieses erwies sich allerdings quasi als Trumpf, der den Streit entschied.
Ein 67-Jähriger mit Schwerbehindertenstatus bewarb sich auf eine Stelle als Sachbearbeiter in der Verwaltung eines kommunalen Arbeitgebers. Der Arbeitgeber sagte ihm ab, da der Bewerber seine Regelaltersgrenze bereits überschritten hatte. Er wies ihn darauf hin, dass er im Sinne der Generationengerechtigkeit hier eine 20 Jahre jüngere Frau einladen und einstellen durfte. Schließlich sei es sein Ziel, jüngeres Personal zu fördern. Der Bewerber beschwerte sich darüber, dass er nicht einmal zum Vorstellungsgespräch eingeladen worden war, und forderte eine Entschädigung nach § 15 Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Er begründete dies damit, dass er wegen seines Alters und seiner Schwerbehinderung benachteiligt worden sei.
Das LAG entschied jedoch, dass der Arbeitgeber den 67-Jährigen nicht zum Vorstellungsgespräch habe einladen müssen - unabhängig von dessen Schwerbehinderung. Er haben den Mann weder wegen des Alters noch wegen der Schwerbehinderung diskriminiert, sondern war vielmehr wegen dessen Alters im Sinne der Generationengerechtigkeit dazu berechtigt gewesen, ihn nicht zum Vorstellungsgespräch einzuladen bzw. einzustellen. Der Bewerber habe deshalb keinen Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG.
Hinweis: Bei Einstellungsverfahren in der öffentlichen Verwaltung müssen schwerbehinderte Bewerber grundsätzlich eingeladen werden. Das ist in der freien Wirtschaft anders. Doch genau deshalb ist dieser Fall so besonders: Hier musste noch nicht einmal in der öffentlichen Verwaltung der Bewerber eingeladen werden. Denn dieser hatte schlichtweg die Regelaltersgrenze überschritten.
Quelle: LAG Hamm, Urt. v. 06.08.2024 - 6 SLa 257/24
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(aus: Ausgabe 02/2025)
Arbeitsverträge dürfen befristet werden - allerdings unter vorgegebenen Regeln. Wie solche Regeln beim doch recht ungewöhnlichen Beruf des Profisportlers greifen, dessen Vertrag die Auflösung bei einem Ligaabstieg vorsah, musste das Arbeitsgericht Solingen (ArbG) klären.
Der Assistenztrainer eines bergischen Handballclubs hatte in seinem Arbeitsvertrag eine sogenannte Ligaklausel vereinbart: Bei Abstieg solle der Vertrag enden. Der Club, der in der Spielzeit 2023/2024 noch in der 1. Handball-Bundesliga spielte, stieg in die 2. Handball-Bundesliga ab. Wie zuvor der Cheftrainer klagte nun auch der Assistenztrainer dagegen an, dass sein Vertrag aufgrund des Abstiegs enden sollte.
Das ArbG gab ihm recht. Es lag nach Ansicht des Gerichts kein Grund für eine Befristung vor, da die Ligaklausel unwirksam sei. Damit müsse das Arbeitsverhältnis fortgesetzt werden. Für eine Sachbefristung sehe das Gesetz nämlich vor, dass ein Grund vorliegen müsse, was sich aus § 14 Abs. 1 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) ergebe. Ein entsprechender Sachgrund lag hier im Sinne des Gesetzes jedoch nicht vor. Der Verein meinte zudem, dass der Assistenztrainer die Aufnahme der Ligaklausel ausdrücklich gewünscht habe und deshalb ein Sachgrund nach § 14 Abs. 1 Nr. 6 TzBfG vorliege. Das sah das Gericht jedoch anders. Es nahm nicht an, dass die Ligaklausel im Interesse des Assistenztrainers war.
Hinweis: Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Vieles spricht jedoch dafür, dass sie eindeutig richtig ist.
Quelle: ArbG Solingen, Urt. v. 30.10.2024 - 4 Ca 729/24
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(aus: Ausgabe 02/2025)
Manchmal kommt eins aufs andere: Erst bekommt man seinen begehrten Urlaub nicht, und dann wird man auch noch genau in dieser Zeit krank! Glauben Sie nicht? Der Arbeitgeber in diesem Fall auch nicht, weshalb er die Lohnfortzahlung verweigerte. Das Arbeitsgericht Berlin (ArbG) griff bei aller Ungläubigkeit zur Tat und befragte die behandelnde Ärztin als Zeugin, ob es sich nicht vielleicht um ein Gefälligkeitsattest handelte.
Es ging um eine seit dem Jahr 2021 beschäftigte Hauswirtschafts- und Reinigungskraft. Diese hatte das Arbeitsverhältnis am 12.05.2023 zum 15.06.2023 gekündigt. Gleichzeitig bat sie den Arbeitgeber darum, ihr zum Ende des Arbeitsverhältnisses Urlaub zu gewähren, da sie ihre Familie besuchen wolle. Dies lehnte der Arbeitgeber unter Hinweis auf entgegenstehende betriebliche Gründe ab. Noch am selben Tag teilte die Arbeitnehmerin dann telefonisch mit, dass sie erkrankt sei, und legte in der Folge eine unterzeichnete ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für den Zeitraum vom 22.05. bis 15.06.2023 vor. Der Arbeitgeber zweifelte die Arbeitsunfähigkeit aufgrund der zeitlichen Nähe von Kündigung und Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und dem zuvor bekundeten Urlaubswunsch natürlich an und zahlte kein Geld. Daraufhin klagte die Arbeitnehmerin.
Das ArbG verpflichtete den Arbeitgeber dennoch zur Entgeltfortzahlung. Es lagen durchaus Umstände vor, die Zweifel an einer Erkrankung der Arbeitnehmerin haben wecken können. Daher reichte es auch dem Gericht nicht aus, dass die Arbeitnehmerin ärztliche Bescheinigungen vorgelegt hatte. Als jedoch die Ärztin als Zeugin vernommen wurde, bestätigte diese, dass sehr wohl eine ärztliche Untersuchung von sogar rund 15 bis 20 Minuten durchgeführt worden sei, bei der eine Erschöpfungsdepression diagnostiziert wurde, womit folglich eben kein sogenanntes Gefälligkeitsattest vorgelegen habe. Die Arbeitnehmerin sei infolge von Krankheit an ihrer Arbeitsleistung verhindert gewesen, ohne dass sie ein Verschulden getroffen hätte.
Hinweis: Gelingt es also einem Arbeitgeber im Prozess um Leistungen aus dem Entgeltfortzahlungsgesetz, den Beweiswert einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeit zu erschüttern, kann die Vernehmung des behandelnden Arztes als sachverständiger Zeuge erfolgen.
Quelle: ArbG Berlin, Urt. v. 19.03.2024 - 22 Ca 8667/23
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(aus: Ausgabe 02/2025)
Zum Thema Verkehrsrecht
- "Geisterradlerin" auf Gehweg: Auf zwei Rädern gleich doppelt falsch zu fahren, kann im Ernstfall Schadensersatzansprüche kosten
- Abgerissener Heckspoiler: Waschanlagenbetreiber haften für Schäden an serienmäßigen Ausstattungsteilen
- Aussage der Ehefrau: Glaubwürdigkeit darf nicht allein wegen enger Bindung zu Prozessbeteiligten angezweifelt werden
- Mangelnde Eigensicherung: Geschädigtem Pannenhelfer kann Mitschuld zugeschrieben werden
- Versehentlicher Promillewert? Gericht wertet unbewussten Verzehr von Alkoholpralinen als Schutzbehauptung
Im folgenden Fall, der vor dem Landgericht Frankfurt/Oder (LG) verhandelt wurde, hatte sich eine Fahrradfahrerin gleich im doppelten Sinne falsch verhalten. Ob das allein über den Schuldanteil nach einer Kollision mit einem Pkw entscheidet oder auf Seiten der schwächeren Verkehrsteilnehmerin dennoch ein Schadensersatzanspruch besteht, lesen Sie hier.
Eine Frau fuhr mit ihrem Rad auf dem Gehweg einer linken Straßenseite auf die Einmündung eines Wegs zu, der in die Straße mündete, deren Verkehr gegenüber dem Weg vorfahrtsberechtigt war. Eine Autofahrerin befuhr mit ihrem Fahrzeug den Weg in Richtung Straße und kollidierte im Einmündungsbereich mit der Radlerin. Diese stürzte und zog sich Verletzungen zu, weswegen sie Schadensersatz und Schmerzengeld verlangte.
Das LG hat die Klage abgewiesen, weil der Unfall allein durch die Radfahrerin verschuldet wurde, da diese mit ihrem Fahrrad den Gehweg der Straße befuhr. Hierbei handelte sie grob verkehrswidrig, da Erwachsenen die Benutzung von Gehwegen mit Fahrrädern nicht erlaubt ist. Der Fahrzeugverkehr auf der Straße war zwar gegenüber dem Verkehr des Wegs vorfahrtberechtigt - Vorfahrt hatte die Radfahrerin dennoch nicht. Diese können Radfahrer, die den Gehweg verbotswidrig und in falscher Richtung nutzen, nämlich nicht für sich beanspruchen. Vielmehr hätte die Radfahrerin beim Überqueren des Wegs bzw. beim Einfahren in diesen eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausschließen müssen. Zu berücksichtigen war zudem, dass die Radfahrerin ungebremst in das Fahrzeug fuhr.
Hinweis: Das LG ist dem Beweisangebot der Radfahrerin auf Einholung eines unfallanalytischen Sachverständigengutachtens nicht nachgekommen. Dies ist ungewöhnlich, weil die Radfahrerin behauptete und unter Beweis gestellt hatte, dass sich der Unfall für die Autofahrerin aufgrund der Erkennbarkeit der Radfahrerin hätte vermeiden lassen.
Quelle: LG Frankfurt/Oder, Urt. v. 19.07.2024 - 12 O 23/23
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(aus: Ausgabe 02/2025)
Der Vorher-nachher-Effekt nach der Autoreinigung in einer Waschanlage war im Folgenden für den Halter von unerwartet negativer Natur. So ging er für die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen bis vor den Bundesgerichtshof (BGH). Denn die Frage, ob ein Hinweisschild auch die betreiberseitige Haftung serienmäßig angebrachter Fahrzeugteile ausschließen kann, konnten Amtsgericht (AG) und Landgericht (LG) zuvor nicht einhellig klären.
Der Kläger fuhr mit seinem Land Rover in die Waschanlage ein, stellte das Fahrzeug ordnungsgemäß ab, verließ die Waschhalle und startete den Waschvorgang. Während des Waschvorgangs wurde der serienmäßig angebrachte Heckspoiler abgerissen, wodurch das Fahrzeug beschädigt wurde. Entsprechend verlangte der Kläger von der Anlagenbetreiberin dann auch Schadensersatz. Die Beklagte verwies ihrerseits jedoch auf das in der Waschanlage befindliche Hinweisschild, das auch die Haftung für Anbauteile und Heckspoiler ausschließt - und zwar mit Ausrufezeichen! Bei dieser Ausgangslage waren auch AG und LG in ihrer Bewertung unterschiedlicher Ansicht.
Zuerst verurteilte das AG die Beklagte antragsgemäß. Diese ging mit einer Berufung vor das LG, das seinerseits die Klage abwies. Schließlich war der BGH gefragt - und hier war wiederum die Revision des Klägers erfolgreich. Diesem stehe wegen der Beschädigung seines Fahrzeugs gegen die Beklagte ein vertraglicher Schadensersatzanspruch zu. Der Vertrag über die Reinigung eines Fahrzeugs umfasse als Nebenpflicht die Schutzpflicht des Waschanlagenbetreibers, das Fahrzeug des Kunden vor Beschädigungen beim Waschvorgang zu bewahren. Geschuldet seien jene Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Anlagenbetreiber für notwendig und ausreichend halten darf, um andere vor Schäden zu bewahren. Die Ursache für die Beschädigung des klägerischen Fahrzeugs liege allein in dessen Obhuts- und Gefahrenbereich. Nach den unstrittigen Feststellungen kam es zu der Beschädigung, weil die Waschanlage konstruktionsbedingt nicht für das serienmäßig mit einem Heckspoiler ausgestattete Fahrzeug des Klägers geeignet war. Das Risiko, dass eine Autowaschanlage für ein marktgängiges Fahrzeug mit einer serienmäßigen Ausstattung konstruktionsbedingt nicht geeignet ist, fällt somit auch in den Obhuts- und Gefahrenbereich der Beklagten.
Hinweis: Hier entscheidet die Fachkenntnis. Einem Waschanlagenbetreiber muss ein Wissen über Anlagenbeschaffenheit und Schadensanfälligkeit von Automodellen unterstellt werden können, über das ein Kunde regelmäßig nicht verfügt, um bestimmte Waschanlagen zu meiden und sein Fahrzeug ohne ein erhöhtes Schadensrisiko zu reinigen.
Quelle: BGH, Urt. v. 21.11.2024 - VII ZR 39/24
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(aus: Ausgabe 02/2025)
Justitia wird als Göttin der Gerechtigkeit in den meisten Darstellungen mit einer Augenbinde versehen, damit sie blind sei vor Status und Ansehen von Klägern und Beklagten und unparteiisch Recht spreche. Unsere Rechtsprechung setzt für dieses Ideal auf die Umsetzung geltender Gesetze, und zwar auf Basis der jeweils fallbezogenen Beweislage. Diese - und nicht etwa ein ungutes Bauchgefühl, das vermeintlich Naheliegendes voraussetzt - galt auch im folgenden Fall des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts (OLG).
Nach einer Kollision von zwei Fahrzeugen war streitig, ob der Hintermann aufgefahren war oder der Vordermann zurückgesetzt hatte. Die Ehefrau des Hintermanns sagte aus, dass ihr Mann bereits eine geraume Zeit hinter dem anderen Auto gestanden habe, als dieses zurücksetzte und auf das ihres Mannes auffuhr. Der Vordermann behauptete hingegen, dass er wegen einer Katze habe bremsen müssen und deshalb der Hintermann aufgefahren sei. Da ein Gutachten ohne Ergebnis blieb, standen sich somit zwei Darstellungen gegenüber. Die Aussage der Ehefrau hielt das Landgericht (LG) dabei für nicht überzeugend und somit nicht hilfreich. Sie habe wenig detailliert ausgesagt und zudem ein gewisses Eigeninteresse am Ausgang des Verfahrens. Ohne ein aussagefähiges Sachverständigengutachten versuchte es das LG daher salomonisch und teilte die Schadensverteilung wegen Unaufklärbarkeit des Unfallhergangs hälftig auf. Der Ehemann der Zeugin - Hintermann im Geschehen - legte Berufung ein.
Nach der erneuten Anhörung der Ehefrau des Klägers entschied nun das OLG, dass feststehe, dass der Vordermann zurückgesetzt hätte. Die Ehefrau habe während der gesamten Abwicklung dieses Unfallereignisses ausgesagt, dass ihr Mann bereits einige Zeit hinter dem Fahrzeug gestanden habe, als dieser plötzlich rückwärts auffuhr. Im Termin habe sie sachlich neutral gewirkt und es seien keine Begünstigungstendenzen zu erkennen gewesen. Allein die Tatsache, dass sie die Ehefrau des Geschädigten sei, lasse nicht automatisch den Rückschluss zu, dass sie keine geeignete Zeugin darstelle. Der Vordermann hafte daher allein, da das plötzliche Rückwärtsfahren ein so schwerer Verkehrsverstoß sei, dass die Betriebsgefahr des anderen Fahrzeugs zurücktrete.
Hinweis: Einem Fahrzeuginsassen als Unfallzeugen kann nicht von vornherein deshalb die persönliche Glaubwürdigkeit abgesprochen werden, weil er der Ehepartner einer Prozesspartei ist. Die Aussage ist vielmehr auf ihre Glaubhaftigkeit hin zu überprüfen, und die Glaubwürdigkeit ist wie bei anderen Zeugen zu würdigen.
Quelle: Schleswig-Holsteinisches OLG, Urt. v. 08.10.2024 - 7 U 30/24
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(aus: Ausgabe 02/2025)
Wer zur Hilfe bereit ist, sollte dabei nie völlig uneigennützig handeln. Dass besonders im Straßenverkehr stets auch die Eigensicherung im Blick behalten werden muss, beweist der folgende Fall des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main (OLG). Hierbei wurden Fahrer, Versicherer und Halterklagende von der Bundesrepublik Deutschland als Dienstherrin zweier verletzter Bundespolizeibeamter und eines getöteten Bundespolizeibeamten aus übergegangenem Recht auf Zahlung von Schadensersatz in Anspruch genommen.
Auf einer Autobahn war es zu einem Verkehrsunfall gekommen. Ein involviertes Fahrzeug blieb dabei auf dem linken von drei Fahrstreifen liegen, Trümmerteile befanden sich auf den beiden anderen Spuren. Drei sich auf dem Heimweg befindliche Bundespolizisten passierten die Unfallstelle und entschlossen sich, anzuhalten und die Unfallstelle abzusichern. Nachfolgend - ca. 30 Minuten später und nachdem die beiden rechten Fahrspuren vom Verkehr wieder befahren wurden - kollidierte der die dritte Fahrspur befahrende beklagte Fahrer mit seinem Pkw frontal mit einem der drei sich auf dem Zwischenstreifen befindlichen Polizisten - dieser wurde dabei getötet. Der beklagte Fahrer kollidierte danach mit den beiden weiteren Beamten. Er wurde schließlich wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung verurteilt. Die Klägerin begehrte Ersatz der von ihr an die Hinterbliebenen erbrachten Leistungen. Der Klage wurde vom Landgericht zu 100 % stattgegeben, wogegen sich die Berufung von Fahrer, Versicherer und Halter richtete.
Die Berufung hatte vor dem OLG teilweise Erfolg. Grundsätzlich hafteten die Beklagten für die unfallbedingten Schäden. Die Haftung beschränke sich hier allerdings auf den Umfang von 2/3. Die geschädigten Beamten hatten sich nach Ansicht des Gerichts als Fußgänger im Bereich der Fahrbahn verkehrswidrig verhalten und dadurch eine nicht unerhebliche Schadensursache gesetzt. Das lediglich in Ausnahmefällen zulässige Betreten einer Autobahn dürfe nur mit höchstmöglicher Sorgfalt und so kurz wie möglich erfolgen. Hier jedoch hatten sich die Beamten fahrlässig selbst gefährdet, als sie sich noch knapp eine halbe Stunde nach dem Unfallereignis auf dem linken Seitenstreifen befanden, ohne den herannahenden Verkehr zumindest sorgfältig zu beobachten oder angemessen auf diesen zu reagieren.
Hinweis: Nach einem Unfall auf der Autobahn muss der Aufenthalt auf der dem fließenden Verkehr zugewandten Seite auch als Pannenhelfer auf das Nötigste beschränkt und größtmögliche Vorsicht aufgewendet werden.
Quelle: OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 05.12.2024 - 15 U 104/22
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(aus: Ausgabe 02/2025)
Des Öfteren ist es Gerichten "vergönnt", mit mehr oder weniger unterhaltsamen Darstellungen zum Geschehen vom Gegenteil behaupteter Vorwürfe überzeugt werden zu wollen. Doch wie im Folgenden vor dem Amtsgericht Frankfurt am Main (AG) kommen in derlei Fällen entsprechende Fachleute hinzu, die anhand wissenschaftlicher Fakten unglaublich klingende Erklärungen auch tatsächlich als solche entkräften.
Ein Autofahrer wurde bei einem Rotlichtverstoß von einer Polizeistreife beobachtet, die ihn daraufhin anhielt. Bei der darauffolgenden Kontrolle fiel ihnen Alkoholgeruch bei dem Mann auf, so dass ein Alkoholtest angeordnet wurde. Dieser endete mit einem Wert von 1,32 ‰. Gegen den Fahrer wurde daher ein Strafverfahren wegen vorsätzlicher Trunkenheitsfahrt eingeleitet. Der Mann setzte sich mit einer durchaus interessanten Erklärung zur Wehr. Ihm sei nach einem Saunabesuch vor Unterzuckerung erst unwohl geworden, dann sei er im Auto eingeschlafen. Da traf es sich gut, dass ein aus Belgien stammendes Pärchen das bemerkte, an seine Autoscheibe klopfte und ihm wegen der geschilderten Unterzuckerung einen Beutel mit angeblich neun Pralinen reichte, die etwas kleiner als Tischtennisbälle gewesen seien. Dankbar leerte er den ganzen Beutel, und obwohl seine Kehle beim Verzehr leicht brannte, dachte er bei der flüssigen Füllung der Pralinenbällchen nicht an Alkohol. Im Nachhinein tippte er auf tendenziell geschmacksneutralen Wodka, Rum hätte er wohl bemerkt. Es ging ihm nach dem Verzehr jedenfalls noch schlechter, dennoch fuhr er los - und just vor dem Toilettenhalt bei einer Fastfoodfiliale kam es zum Zusammentreffen mit der Polizei. Auch wenn er seine Geschichte im gesamten Verlauf bis vor Gericht immer wieder änderte - er habe ehrlich nicht gewusst, so viel Alkohol im Blut gehabt zu haben.
Das AG hielt seine Schilderung, eine große Anzahl von Schnapspralinen verzehrt zu haben, ohne den Alkohol zu bemerken, schlichtweg für nicht glaubwürdig. Denn den Ausführungen des Mannes standen knallharte Fakten entgegen: Nach gutachterlicher Berechnung hätte er für den gemessenen Promillewert satte 132 Mon-Cherie-Pralinen innerhalb einer Viertelstunde verzehren müssen, um dem Konsum von 0,2 bis 0,3 Litern harten Alkohols zu entsprechen. Auch sprachen Bestandsstoffe aus einer Begleitstoffanalyse gegen den behaupteten Wodka und eher für Likör. Insofern sei es aus Sicht des Gerichts "absolut fernliegend", dass der Mann den behaupteten Pralinenkonsum als harmlosen Snack missverstanden haben kann. Das AG wertete seine Aussage daher als eine unglaubwürdige Schutzbehauptung und verurteilte ihn schließlich wegen einer vorsätzlichen Trunkenheitsfahrt zu einer Geldstrafe und zum Entzug der Fahrerlaubnis für insgesamt 18 Monate.
Hinweis: Was das Gutachten noch ad absurdum führte: Gemäß seinen Schilderungen hätte der Angeklagte Ende Januar ab 22 Uhr für knapp vier Stunden in einem unbeheizten Fahrzeug geschlafen, ohne durch die Kälte aufzuwachen. Zudem müsste er nach behaupteter zehnjähriger Alkoholabstinenz innerhalb von nur rund 15 Minuten 272 ml 40%igen Alkohols zu sich genommen haben, ohne innerhalb der darauffolgenden 75 bis 90 Minuten bei der Polizei Gangunsicherheiten oder sprachliche Auffälligkeiten zu zeigen.
Quelle: AG Frankfurt am Main, Urt. v. 29.08.2024 - 907 Cs 515 Js 19563/24
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(aus: Ausgabe 02/2025)
Zum Thema Sonstiges
- Arztbewertungen online: Bewertungsportal muss Rüge nachgehen, dass Bewertung kein Behandlungskontakt zugrunde liege
- Kanadas Grenzen dicht: Kein Entschädigungsanpruch für Reiseunternehmen bei befristeten Einreiseverboten
- Kein Rechtsbindungswillen entnehmbar: Grimasse schneidendes Emoji ist keine Zustimmung zu einer Lieferfristverlängerung
- Notfallkater Rocky: Tierhalter müssen Kosten für Behandlung auch tragen, wenn Dritte die Rettung veranlassen
- Scraping bei Facebook: Bundesgerichtshof hält selbst kurzzeitigen Kontrollverlust zu Nutzerdaten für schadensersatzwürdig
Kommentare im Internet abzugeben, ist mehr als einfach. Ebenso verhält es sich für Nutzer mit Bewertungen von Produkten und Dienstleistungen. Dass Bewertungsportale bei ärztlichen Leistungen jedoch eine Prüfpflicht haben, die ein wenig mehr Objektivität in das Geschriebene bringen soll, hat das Oberlandesgericht München (OLG) erneut klargestellt.
In einen Bewertungsportal wurde anonym behauptet, der Arzt habe eine Patientin zweimal an der Nase operiert, die Operationsergebnisse seien aber beide Male alles andere als zufriedenstellend gewesen. Mit dieser Bewertung war der Arzt nicht einverstanden und zog gegen das Bewertungsportal vor das Gericht. Er bestritt, "dass der Verfasser der Bewertung eine irgend geartete tatsächliche Erfahrung" mit seiner Arztpraxis gemacht habe.
Mit seinem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung war er erfolgreich. Ein auf einem Bewertungsportal bewerteter Arzt löst grundsätzlich schon mit der Rüge, einer Bewertung liege kein Behandlungskontakt zugrunde, Prüfpflichten des Bewertungsportals aus. Dabei ist er gegenüber dem Bewertungsportal grundsätzlich nicht zu weiteren Darlegungen verpflichtet - insbesondere nicht zu einer näheren Begründung seiner Behauptung zum fehlenden Behandlungskontakt. Dies gilt nicht nur in dem Fall, dass die Bewertung keinerlei tatsächliche, die konkrete Inanspruchnahme der Leistung beschreibende Angaben enthält und dem Bewerteten daher eine weitere Begründung schon gar nicht möglich ist, sondern auch, wenn für einen Behandlungskontakt keine entsprechende Angaben vorliegen. Da das Bewertungsportal eine solche Prüfung nicht durchgeführt hatte, war es zur Unterlassung zu verurteilen.
Hinweis: Wenn ein Arzt also einem Bewertungsportal mitteilt, es habe überhaupt kein Behandlungskontakt vorgelegen, muss das Bewertungsportal dies prüfen.
Quelle: OLG München, Urt. v. 06.08.2024 - 18 U 2631/24 Pre e
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(aus: Ausgabe 02/2025)
Für die meisten Menschen ist die Pandemie Vergangenheit. Die Gerichte werden aber weiterhin mit den rechtlichen Fragen dazu beschäftigt sein, so zum Beispiel, ob es eine Rückzahlung des Reisepreises gibt, wenn ein Einreiseverbot vorliegt. Diese Frage muss schwierig zu beantworten gewesen sein, denn schließlich konnte erst der Bundesgerichtshof (BGH) die Antwort erbringen.
2019 hatte ein Mann für sich und seine Ehefrau eine Flugreise nach Kanada im Sommer 2020 gebucht. Diese sollte knapp 6.400 EUR kosten. Doch im März 2020 gab das Auswärtige Amt zur Eindämmung der Corona-Pandemie eine weltweite Reisewarnung aus. Die kanadischen Behörden ordneten ihrerseits zudem eine Schließung ihrer Landesgrenze für alle Reisenden an - mit Ausnahme kanadischer und US-amerikanischer Staatsangehöriger. Sodann erklärte der Mann ebenfalls im März 2020, er wolle die Reise stornieren, und verlangte das Geld zurück. Das Reiseunternehmen zahlte auch - bis auf 638 EUR. Diesen Restbetrag begehrte der Mann dennoch - und bekam ihn auch mithilfe des BGH.
Das Reiseunternehmen hatte nach Ansicht des BGH gemäß § 651h Abs. 1 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch seinen Anspruch auf den Reisepreis verloren, weil der Mann schlicht und ergreifend wirksam vom Pauschalreisevertrag zurückgetreten war. Insbesondere hatte das Reiseunternehmen auch keinen Anspruch auf eine Entschädigung. Denn ein solcher Entschädigungsanspruch war hier ausgeschlossen, weil zum Zeitpunkt des Rücktritts die berechtigte Befürchtung bestand, dass die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort wegen der Covid-19-Pandemie und der auf ihr beruhenden Maßnahmen zumindest erheblich beeinträchtigt sein könne.
Hinweis: Auch nach Jahren der überstandenen Pandemie sind noch nicht alle Rechtsstreitigkeiten dazu ausgeurteilt. Daher ist der Überblick über rechtliche Anprüche schwierig. Entschädigungsansprüche bei Reisemängeln prüft am besten der Rechtsanwalt des Vertrauens.
Quelle: BGH, Urt. v. 15.10.2024 - X ZR 79/22
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(aus: Ausgabe 02/2025)
Der Sinn sogenannter Emojis liegt eigentlich darin, dem Leser zu veranschaulichen, wie der Verfasser das Geschriebene gefühlmäßig betont - er ersetzt quasi seine fehlende Mimik mit Icons und Zeichen und verdeutlicht die Aussage seines Texts. Uneigentlich ist die Praxis jedoch oft eine andere: Zwei Menschen mit zwei Meinungen, wie das Geschriebene gemeint war bzw. aufgefasst wurde. Ebendiese unterschiedliche Auffassung führte zum folgenden Fall vor dem Oberlandesgericht München (OLG).
Es ging um den Kauf eines Ferrari SF90 Stradale, bei dem es zu Lieferverzögerungen kam. Die entscheidende Frage hierbei war, ob der Käufer mit einer WhatsApp der Lieferfristverlängerung zugestimmt hatte, als er auf den Hinweis des Verkäufers, dass der Ferrari erst knapp ein Jahr später ausgeliefert werden könne, mit "Ups" und einem Grimasse schneidenden Emoji geantwortet hatte. Als sich die Lieferung immer weiter hinauszog, setzte er eine Lieferfrist und behielt sich das Recht vor, vom Vertrag zurückzutreten - was er dann auch tat. Schließlich wollte er dann seine Anzahlung zurückerhalten und reichte eine Klage ein. Der Verkäufer meinte, dass sich durch das Grimasse schneidende Emoji und den übrigen Wortwechsel eine einvernehmliche Lieferfristverlängerung ableiten lasse.
Das sah das OLG allerdings anders. Der Käufer hatte mit der Verwendung des Grimasse schneidenden Emojis keine Zustimmung zu einer Lieferfristverlängerung erteilt. Zwar könne eine Willenserklärung auch per Zeichen stattfinden. Emojis erfüllten schließlich "im digitalen Diskurs ähnliche Funktionen wie Intonation, Gestik, Mimik und andere körpersprachliche Elemente in realen Gesprächen". Ob der Verwender von Emojis einen Rechtsbindungswillen zum Ausdruck bringen oder lediglich seine Stimmungs- oder Gefühlslage mitteilen möchte, sei aber eine Frage der Auslegung. Das Grimasse schneidende Emoji zusammen mit "Ups" ist jedenfalls nicht als Zustimmung für eine Lieferfristverlängerung auszulegen. Deshalb durfte der Käufer nach einer Fristsetzung zurücktreten und erhielt auch seine Anzahlung wieder.
Hinweis: Willenserklärungen können auch durch Emojis abgegeben werden. Wird jemand auf WhatsApp gefragt, ob er mit einem Geschäft einverstanden ist, und er sendet einen "Daumen hoch" zurück, wird dieses als Abschluss eines Vertrags zu werten sein. Es ist also Vorsicht geboten!
Quelle: OLG München, Urt. v. 11.11.2024 - 19 U 200/24 e
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(aus: Ausgabe 02/2025)
Wer trägt im Fall einer Tierrettung eigentlich die angefallenen Kosten, wenn die Notbehandlung nicht etwa vom Halter, sondern von einem tierlieben fremden Finder des zuvor entlaufenen Tiers beauftragt wurde? Das Amtsgericht München (AG) musste zu dieser interessanten Frage eine Antwort finden.
Kater Rocky war seiner Halterin entlaufen, doch Glück im Unglück: Er wurde gefunden! Der feline Gefährte war allerdings bewusstlos, und daher alarmierte der anonym gebliebene Finder die Münchner Tierrettung. Diese tat das, was eine Rettung auch bei Menschen im Allgemeinen tut: Sie lieferte Rocky als Notfall in ein Krankenhaus ein - in diesem Fall natürlich in eine Tierklinik. Und so kam es schnell zu Kosten in Höhe von fast 600 EUR. Da der Kater ein vorbildlicher Kater war, fand man seine Daten dank Chip im Haustierzentralregister und konnte so auch seine Halterin ausfindig machen. Diese weigerte sich nun jedoch, die Kosten zu übernehmen. Daraufhin wurde sie auf Zahlung verklagt - und zwar erfolgreich.
Denn das AG befand, dass dann, wenn ein erkranktes Tier von Dritten zum Tierarzt gebracht wird, der Tierhalter für die Kosten der Notbehandlung haftet. Der Vortrag der Halterin, sie hätte rechtzeitig über die Einlieferung des Katers informiert werden müssen, blieb hierbei unerheblich.
Hinweis: Tierbesitzer sollten sich auf steigende Kosten bei der Haltung von Tieren einstellen. Denn nach langen Jahren der "Nullrunde" wurde die Gebührenordnung für Tierärzte im Jahr 2023 angepasst.
Quelle: AG München, Urt. v. 30.08.2024 - 161 C 16714/22
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(aus: Ausgabe 02/2025)
Der Bundesgerichtshof (BGH) musste sich mit Ansprüchen im Zusammenhang mit einem Datenschutzvorfall bei Facebook beschäftigen. Die Frage dabei war, ob das Gefühl, selbst nur kurzzeitig auf den Schutz der eigenen Daten verzichten zu müssen, bereits zu Schadensersatzansprüchen führt - oder ob dafür ein konkreter Schaden erfolgt sein müsse.
Bei Facebook tauchte Anfang April 2021 folgendes Datenschutzproblem auf: Es wurden Daten von ca. 533 Millionen Facebooknutzern aus 106 Ländern im Internet öffentlich verbreitet. Unbekannte hatten zuvor ausgenutzt, dass Facebook es in Abhängigkeit von den Suchbarkeitseinstellungen des jeweiligen Nutzers ermöglichte, dass dessen Facebookprofil mithilfe seiner Telefonnummer gefunden werden konnte. Sie ordneten in großem Umfang Telefonnummern den zugehörigen Nutzerkonten zu und griffen die zu diesen Nutzerkonten vorhandenen öffentlichen Daten ab - ein sogenanntes Scraping. Davon war auch ein Mann in Deutschland betroffen. Mit seiner Telefonnummer wurden folgende Daten verknüpft: Nutzer-ID, Vor- und Nachname, Arbeitsstätte und Geschlecht. Deshalb klagte der Mann und meinte, ihm stehe ein immaterieller Schadensersatzanspruch zu, da er einen Kontrollverlust über die Daten erlitten hätte.
Der BGH meinte, dem Mann stünde durchaus ein Schadensersatz zu. Denn selbst der bloße und kurzzeitige Verlust der Kontrolle über eigene personenbezogene Daten durch einen Verstoß gegen die Datenschutz-Grundverordnung kann ein immaterieller Schaden sein. Weder muss insoweit eine konkrete missbräuchliche Verwendung dieser Daten erfolgt sein, noch bedarf es sonstiger zusätzlicher spürbarer negativer Folgen.
Hinweis: Der BGH hat die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Er hat Hinweise erteilt und ausgeführt, dass hier keine Bedenken dagegen bestünden, den Ausgleich für den bloßen Kontrollverlust in einer Größenordnung von 100 EUR zu bemessen.
Quelle: BGH, Urt. v. 18.11.2024 - VI ZR 10/24
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