Aktuelle Rechtsprechung
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Zum Thema Arbeitsrecht
- Arbeitgeber in der Pflicht: Eltern von behinderten Kindern haben laut EuGH Anrecht auf Vereinbarkeit von Beruf und Pflege
- Bei kurzfristiger Krankmeldung: Betriebsratsbeschluss bleibt auch ohne sehr zeitnah geladenes Ersatzmitglied gültig
- Gültige Betriebsvereinbarung: Nach einem Streik war die Kürzung des Weihnachtsgeldes zulässig
- Sechsmonatige Wartezeit: Kein Sonderkündigungsschutz für Initiatoren einer Betriebsratswahl in der Probezeit
- Trotz externer Dienstleistung: Fehler bei Durchführung von betrieblichem Eingliederungsmanagement gehen zu Lasten des Arbeitgebers
Der folgende Fall spielte sich zwar in Italien ab, doch da sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) damit befassen musste, ist dessen Urteil auch hierzulande von Interesse. Die Frage, die dem Gericht vorgelegt wurde, war, ob pflegende Eltern von behinderten Kindern vor Benachteiligungen im Job geschützt sind, auch wenn sie selbst keine Behinderung haben.
In Italien arbeitete eine Frau als Stationsaufsicht in einem Bahnhof. Ihr Sohn war schwerbehindert und brauchte regelmäßig Betreuung. Sie bat deshalb mehrmals darum, dauerhaft auf einen Arbeitsplatz mit festen Arbeitszeiten versetzt zu werden. Der Arbeitgeber erlaubte das zeitweise, lehnte aber eine dauerhafte Lösung ab. Die Frau ging vor Gericht, und das höchste italienische Gericht legte den Fall dem EuGH vor: Es wollte wissen, ob die europäische Gleichbehandlungsrichtlinie auch Eltern schützt, die wegen der Pflege eines behinderten Kindes benachteiligt werden.
Der EuGH entschied, dass das Diskriminierungsverbot wegen einer Behinderung auch dann gilt, wenn Eltern Nachteile erfahren, weil sie sich um ihr behindertes Kind kümmern. Schon 2008 hatte das Gericht klargestellt, dass eine sogenannte "Mitdiskriminierung" unzulässig ist. Dieser Schutz umfasst also nicht nur Menschen mit Behinderung selbst, sondern auch Personen in ihrem Umfeld, wenn sie durch deren Situation betroffen sind. Der EuGH betonte zudem, dass Arbeitgeber verpflichtet sind, Arbeitsbedingungen so anzupassen, dass die Vereinbarkeit von Arbeit und Pflege möglich bleibt. Solche Anpassungen können etwa feste Arbeitszeiten oder flexible Modelle sein. Allerdings müssen sie für das Unternehmen wirtschaftlich zumutbar bleiben. Ob das im Einzelfall so ist, müssen die jeweiligen, nationalen Gerichte prüfen.
Hinweis: Dieses Urteil stärkte die Rechte von Eltern mit pflegebedürftigen Kindern deutlich. Arbeitgeber müssen Anträge auf Anpassung der Arbeitszeiten ernsthaft prüfen und dürfen sie nicht pauschal ablehnen. Wer das ignoriert, riskiert eine Diskriminierungsklage.
Quelle: EuGH, Urt. v. 11.09.2025 - C-38/24
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(aus: Ausgabe 11/2025)
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) musste einen interessanten Fall entscheiden. Die Frage, um die es sich hierbei drehte: Kann ein Beschluss des Betriebsrats auch dann gültig sein, wenn ein Ersatzmitglied nach einer spontanen Verhinderung nicht mehr eingeladen wurde? Die Antworten von Arbeitsgericht (ArbG) und Landesarbeitsgericht (LAG) lauteten jeweils anders, und so hatte schließlich das BAG das letzte Wort.
Ein Mitarbeiter eines Metallbetriebs war mit einer neuen Betriebsvereinbarung zur Vergütung nicht einverstanden. Diese Vereinbarung aus dem Jahr 2020 senkte bestimmte Zahlungen ab 2022. Der Beschäftigte meinte, die Regelung sei ungültig, weil der Betriebsrat beim Abschluss keinen ordnungsgemäßen Beschluss gefasst habe. Später, im Juli 2023, bestätigte der Betriebsrat den Abschluss noch einmal in einer Sitzung. Eingeladen waren elf Mitglieder und zwei Ersatzmitglieder. Kurz vor der Sitzung meldete sich ein Betriebsratsmitglied krank. Ein weiteres Ersatzmitglied wurde wegen der kurzfristigen Krankmeldung nicht mehr benachrichtigt. Acht Mitglieder und zwei Ersatzmitglieder nahmen teil und beschlossen einstimmig, die Vereinbarung zu bestätigen.
Das ArbG hielt den Beschluss für wirksam, das LAG sah das anders. Das BAG stellte schließlich klar, dass der Beschluss gültig war. Das Gericht erklärte, dass eine Nachladung nur dann zwingend nötig ist, wenn der Ausfall rechtzeitig bekannt gewesen sei. Fällt ein Mitglied jedoch erst am Tag der Sitzung aus, muss der Vorsitzende kein Ersatzmitglied mehr einladen. Eine solche spontane Krankmeldung mache eine rechtzeitige Benachrichtigung unmöglich. Der Beschluss des Betriebsrats blieb deshalb wirksam. Somit galt die neue Betriebsvereinbarung rückwirkend ab der Unterzeichnung.
Hinweis: Das Urteil zeigt, dass Betriebsratsbeschlüsse trotz spontaner Ausfälle Bestand haben können. Wichtig ist, dass der Betriebsrat beschlussfähig bleibt und kein Mitglied bewusst ausgeschlossen wird. In solchen Situationen zählt vor allem, dass der Vorsitzende nach bestem Wissen und Gewissen handelt.
Quelle: BAG, Urt. v. 20.05.2025 - 1 AZR 35/24
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(aus: Ausgabe 11/2025)
Dieser Sachverhalt liest sich auf den ersten flüchtigen Blick wie eine arbeitgeberseitige Diskriminierung von Streikenden: Arbeitnehmern wurde nach Teilnahme an dem Arbeitskampf das Weihnachtsgeld gekürzt! Doch wie so oft lohnt sich ein zweiter Blick, und der fällt auf eine Betriebsvereinbarung. Diese nahm sich auch das Arbeitsgericht Offenbach am Main (ArbG) ordnungsgemäß vor, bevor es sein Urteil fällte.
Im Unternehmen gab es eine Betriebsvereinbarung, die vorsah, dass das Weihnachtsgeld für jeden Tag ohne Arbeitsleistung anteilig gekürzt werden dürfe. Dabei spielte es keine Rolle, ob jemand wegen Krankheit, unbezahltem Urlaub oder anderer Gründe ausgefallen war. Als es im Betrieb zu Streiks kam, beteiligten sich einige Beschäftigte an den Arbeitskämpfen. Der Arbeitgeber behandelte die Streiktage wie andere Abwesenheiten und kürzte das Weihnachtsgeld jeweils um 1/60 pro Tag. Ein Beschäftigter wollte das nicht akzeptieren. Er war der Meinung, sein Recht auf Streik werde dadurch eingeschränkt.
Das ArbG sah das anders. Das Gericht erklärte, dass die Kürzung des Weihnachtsgeldes keine Bestrafung war, sondern die logische Folge der bestehenden Betriebsvereinbarung. Die Regel galt für alle gleich - unabhängig vom Grund der Fehlzeit. Damit lag keine Diskriminierung von Streikenden vor. Wichtig war nur, dass die Regelung allgemein, sachlich und neutral angewendet wurde. Das ArbG hielt die Kürzung um 1/60 pro Streiktag deshalb für rechtmäßig.
Hinweis: Das Urteil zeigt, dass Arbeitgeber Sonderzahlungen nur dann kürzen dürfen, wenn eine klare und faire Regelung besteht, die für alle gilt. Fehlt eine solche Grundlage, wäre eine Kürzung unzulässig. Streikende verlieren also nicht automatisch ihr Weihnachtsgeld - entscheidend ist, was im Betrieb vereinbart wurde.
Quelle: ArbG Offenbach am Main, Urt. v. 28.08.2025 - 10 Ca 57/25
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(aus: Ausgabe 11/2025)
Zu den Personengruppen, die im Rahmen des Arbeitsrechts einen Sonderkündigungsschutz genießen, gehören auch Betriebsratsmitglieder. Wie es sich jedoch damit verhält, wenn man sich noch während der Probezeit daran macht, einen solchen Betriebsrat zu gründen, und dann seinen Arbeitsplatz gekündigt bekommt, musste zuerst das Arbeitsgericht (ArbG) und schließlich das Landesarbeitsgericht München (LAG) klären.
Ein Sicherheitsmitarbeiter begann im März 2024 seine Arbeit in einem Unternehmen. Nur wenige Tage später ließ er bei einem Notar eine Erklärung beglaubigen, dass er einen Betriebsrat gründen wolle. Kurz darauf fragte er beim Arbeitgeber per E-Mail nach, ob es bereits einen Betriebsrat gebe. Gleichzeitig kündigte er an, eine Betriebsversammlung zur Wahl eines Wahlvorstands einzuberufen, falls kein Gremium existiere. Der Arbeitgeber reagierte darauf mit einer ordentlichen Kündigung zum Ende März 2024. Der Mann wollte die Kündigung jedoch nicht hinnehmen und argumentierte, sie verstoße gegen das Verbot, eine Betriebsratswahl zu behindern. Erst Monate später (im Oktober 2024) verwies er zusätzlich auf den Sonderkündigungsschutz für Initiatoren einer Betriebsratswahl nach § 15 Abs. 3b Kündigungsschutzgesetz (KSchG). Das ArbG gab ihm recht und sah die Voraussetzungen für den Schutz erfüllt, weil der Beschäftigte seine Absicht notariell bestätigt hatte.
Das LAG beurteilte den Fall jedoch anders - es wies die Klage ab. Nach Ansicht des Gerichts galt der besondere Kündigungsschutz noch nicht, weil sich das Arbeitsverhältnis in der sechsmonatigen Wartezeit befand. Das KSchG fand daher keine Anwendung. Außerdem habe der Beschäftigte zu spät mitgeteilt, dass er sich auf den Sonderkündigungsschutz berufen wolle. Da er dies nicht innerhalb von drei Wochen nach der Kündigung tat, sei dieses Recht verwirkt gewesen.
Hinweis: Das Urteil verdeutlicht, dass der Schutz für Wahlinitiatoren erst nach Ablauf der Wartezeit greift. Wer eine Betriebsratsgründung vorbereitet, sollte den Arbeitgeber unbedingt zeitnah über die formale Erklärung informieren, um den Sonderkündigungsschutz nicht zu verlieren.
Quelle: LAG München, Urt. v. 20.08.2025 - 10 SLa 2/25
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(aus: Ausgabe 11/2025)
Krankheitsbedingte Kündigungen unterliegen bestimmten Voraussetzungen. Die Durchführung eines betriebliches Eingliederungsmanagements (BEM) gehört zwar nicht zwingend dazu, ist jedoch dringend anzuraten, um beiden Seiten die Wahrnehmung eventuell späterer Ansprüche zu vereinfachen. Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg (LAG) befasste sich damit, wer für den Ablauf eines BEM verantwortlich ist, wenn dafür externe Dienstleister engagiert werden, denen dabei Fehler unterlaufen, und dann eine krankheitsbedingte Kündigung im Raum steht.
Ein langjähriger Mitarbeiter eines Unternehmens war häufig über Wochen oder Monate krank. Um seine Rückkehr zu erleichtern, beauftragte der Arbeitgeber einen externen Dienstleister mit der Durchführung des BEM. Der Mitarbeiter erhielt eine Einladung zu einem ersten Gespräch, an dem auch eine Vertrauensperson teilnehmen durfte. Während des Treffens im Februar 2023 sprach die Mitarbeiterin des Dienstleisters bereits über gesundheitliche Einschränkungen und mögliche Veränderungen am Arbeitsplatz. Am Ende wurde jedoch ein Formular unterschrieben, in dem stand, dass kein BEM gestartet werde, weil der Beschäftigte mit seiner Arbeitssituation zufrieden sei. Sollte er erneut erkranken, könne er später freiwillig ein BEM beginnen. Einige Monate später fiel der Mitarbeiter erneut krankheitsbedingt aus, und sein Arbeitgeber kündigte ihm das Arbeitsverhältnis im Juli 2023.
Das LAG erklärte die Kündigung jedoch für unwirksam. Denn das Gericht stellte fest, dass das BEM nicht korrekt durchgeführt worden war. Der Arbeitnehmer sei nicht ausreichend über die Verwendung seiner Gesundheitsdaten informiert worden, zudem sei das Informationsgespräch fälschlicherweise mit der eigentlichen BEM-Durchführung vermischt worden. Dadurch habe der Beschäftigte den Eindruck gewinnen können, dass ein BEM gar nicht nötig sei. Zudem habe das Protokoll des Gesprächs den (falschen) Eindruck erweckt, die Ablehnung des BEM schütze ihn vor Konsequenzen. Diese Fehler führten dazu, dass das Verfahren seinen Zweck verfehlte. Da der Dienstleister im Auftrag des Arbeitgebers gehandelt hatte, musste der Arbeitgeber auch die Verantwortung tragen.
Hinweis: Das Urteil macht deutlich, dass Arbeitgeber beim BEM ihre Verantwortung nicht abgeben können. Wer externe Stellen beauftragt, muss deren Arbeit sorgfältig kontrollieren. Fehler im Ablauf können eine Kündigung unwirksam machen.
Quelle: LAG Baden-Württemberg, Urt. v. 14.01.2025 - 15 Sa 22/24
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(aus: Ausgabe 11/2025)
Zum Thema Verkehrsrecht
- Erforderliche und mögliche Aufmerksamkeit: Mitschuld bei Kollision eines Linksabbiegers mit unbeleuchtetem Fahrzeug möglich
- Kein automatischer Vorsatz: Selbst eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 40 % kann fahrlässiger Natur sein
- Laut Annonce unfallfrei: Anrecht auf Rückgabe des Gebrauchten trotz Zusatz zu "Unfallschaden" im Kaufvertrag
- Rechtsfahrgebot und Vorfahrtregeln: Unfall im unmittelbaren Kreuzungsbereich eines Kreisverkehrs
- Unredliche Verhaltensweise: Anspruchssicherung nach Täuschung über Lieferfähigkeit anzuzahlender Luxusautos
Wer am frühen Abend mit seinem unbeleuchteten Auto einen Unfall verursacht, muss haften. Erst recht in der Winterzeit, oder etwa nicht? Das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht (OLG) musste sich mit einer solchen Sachlage befassen. Die Kollegen vom Landgericht (LG) stimmten dem Anspruch des Geschädigten nämlich nicht zu 100 % zu. Denn obwohl dieser sein Fahrzeug ordnungsgemäß beleuchtet hatte, war er als Linksabbieger nicht gänzlich unbeteiligt an dem Malheur.
Der Autofahrer wollte von einer Hauptverkehrsstraße links abbiegen. Aufgrund der Dunkelheit - wir befinden uns im Monat März so zwischen halb sieben und sieben Uhr am frühen Abend - übersah der Abbiegende das entgegenkommende Fahrzeug. Das wundert nicht, denn dieses Auto war unbeleuchtet. Und so kam es dann auch zur Kollision. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit betrug an der Unfallstelle 70 km/h. Zum Unfallzeitpunkt waren die Straßenlaternen und der Lichtmast bereits eingeschaltet. Der Autofahrer forderte Schadensersatz von der gegnerischen Versicherung. Diese zahlte jedoch nur 2/3 des entstandenen Schadens, da sie der Ansicht war, dass das bei ihr versicherte Fahrzeug bei gebotener Aufmerksamkeit auch ohne Beleuchtung hätte erkannt werden können. Der Autofahrer bestand aber auf die Erstattung von 100 % des verlangten Schadensersatzes, was das LG abwies. Damit wollte es der Mann nicht gut sein lassen und ging vor das OLG.
Das OLG wies ihn jedoch auf die Erfolglosigkeit der Berufung gegen das Urteil des LG hin und bestätigte die Auffassung der ersten Instanz. Nach der Beweisaufnahme sei davon auszugehen, dass der Entgegenkommende bei der erforderlichen und möglichen Aufmerksamkeit hätte erkannt werden können. Zwar sei die Tatsache, dass dieser kein Abblendlicht eingeschaltet hatte, als grober Pflichtenverstoß zu werten, dennoch sei eine Mithaftung des Linksabbiegers von 1/3 angemessen. Die Einholung eines Gutachtens war indes nicht möglich, da die genauen Sichtverhältnisse am Unfalltag nicht rekonstruierbar waren.
Hinweis: Der entgegenkommende Autofahrer hat gegen § 17 Abs. 1 Satz 1 Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) verstoßen, weil er wegen der bereits zum Unfallzeitpunkt eingetretenen Dämmerung ohne Abblendlicht gefahren ist. Der Kläger hat aber ebenfalls sorgfaltswidrig gehandelt, weil er - trotz Sichtbarkeit des unbeleuchtet entgegenkommenden Fahrzeugs - gleichwohl nach links abgebogen ist, ohne seiner Wartepflicht zu genügen (§§ 1 Abs. 2, 9 Abs. 3 Satz 1 StVO). Wer nach links abbiegen will, muss entgegenkommende Fahrzeuge durchfahren lassen. Für den Linksabbieger besteht eine entsprechende Wartepflicht. Sein Verschulden war daher mit 1/3 zu bewerten.
Quelle: Schleswig-Holsteinisches OLG, Beschl. v. 07.07.2025 - 7 U 41/25
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(aus: Ausgabe 11/2025)
Man kann es drehen, wie man will: 40 % sind nur zehn Zähler bis zur Hälfte, und ein Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit in dieser Höhe sollte nicht einfach "aus Versehen" passieren. Das Amtsgericht Landstuhl (AG) war da aber etwas dezidierterer Meinung, was dabei den automatischen Vorwurf des Vorsatzes anging. Und so zeigt der folgende Fall hervorragend auf, wie Gerichte mit dem richtigen Augenmaß urteilen.
Ein Autofahrer befuhr innerorts eine Straße mit einem Tempolimit von 30 km/h - dies jedoch mit rund 46 km/h (nach Abzug der Messtoleranz). Woher man das weiß? Genau, er wurde geblitzt. Daher erging an ihn ein Bußgeldbescheid, wobei das Bußgeld aufgrund der erheblichen Überschreitung verdoppelt wurde. Die Begründung dafür war die Annahme von Vorsatz. Damit war, man ahnt es, der Betroffene aber nicht einverstanden und legte Einspruch ein. Er sei irrtümlich davon ausgegangen, auf einer nicht limitierten Straße unterwegs gewesen zu sein. Und in seinem Irrtum verhielt der Mann sich durchaus sehr vorbildlich, denn selbst ohne Toleranzabzug sei er mit "nur" 49 km/h unterwegs gewesen. Es könne daher nicht von einer vorsätzlichen Begehung ausgegangen werden.
Das AG gab dem Betroffenen recht. Allein die Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit um 40 % lasse bei sehr niedrigen Geschwindigkeitsbegrenzungen keinen automatischen Rückschluss auf eine vorsätzliche Begehung zu. Hier müssten weitere Beweisanzeichen hinzukommen, beispielsweise das Fahrverhalten anderer, die etwa die Höchstgeschwindigkeit einhielten. Doch die gab es hier schlichtweg nicht. Und selbst, wenn der Fahrer das Tempolimit wahrgenommen hätte, sei nicht automatisch sichergestellt, dass er auch wahrnahm, möglicherweise zu schnell zu sein. Es sei daher von einer fahrlässigen Begehungsweise auszugehen.
Hinweis: Laut AG muss differenziert werden - selbst, wenn die obergerichtliche Rechtsprechung eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 40 % oder mehr im Hinblick auf die Wahrnehmung der Fahrgeschwindigkeit regelmäßig als ein verlässliches Indiz für (zumindest bedingt) vorsätzliches Handeln anerkennt. Bei der Überschreitung einer verhältnismäßig niedrigen Geschwindigkeitsbegrenzung (in diesem Fall um 12 km/h) müssen vielmehr weitere belastbare Beweisanzeichen hinzukommen, die für eine Wahrnehmung der Fahrgeschwindigkeit durch den Fahrzeugführer sprechen. Nur dann kann die Annahme eines Vorsatzes begründet sein.
Quelle: AG Landstuhl, Beschl. v. 07.08.2025 - 2 OWi 4211 Js 8201/25
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(aus: Ausgabe 11/2025)
Wenn die eine Seite etwas anderes behauptet als ihr Gegenüber, fragen Gerichte nach Beweisen. Als nach einem Autokauf, der zumindest die Käuferseite unglücklich zurückließ, eben solche Beweise vom Landgericht Kiel (LG) gefordert wurden, konnte es sich nur an zwei Schriftstücke halten. Doch vor allem diese widersprachen sich. Hatte der Käufer, der einen Zusatz im Vertrag nicht richtig gelesen hatte, nun das Nachsehen?
Der Privatkäufer kaufte den Gebrauchtwagen bei einem Händler. In der im Fahrzeug ausliegenden Annonce war das Fahrzeug als unfallfrei betitelt. In dem später geschlossenen Kaufvertrag jedoch, der als "verbindliche Bestellung" überschrieben war, war dann eingefügt "entgegen Annonce Unfallschaden lt. Vorbesitzer". Als der Käufer schließlich einige Zeit nach Übergabe des Fahrzeugs einen Verkehrsunfall erlitt, wurde im Rahmen der sachverständigen Begutachtung des Unfallschadens festgestellt, dass der Wagen hinten links einen nicht unerheblichen Vorschaden aufwies. Der Käufer erklärte daraufhin die Anfechtung des Vertrags, da ihm der Unfallschaden verschwiegen worden sei. Der Verkäufer sah das völlig anders und verweigerte die Rückabwicklung: Er verwies auf den Hinweis in der Bestellung.
Das LG stellte sich auf die Seite des Käufers, da es der Ansicht war, dass der Verkäufer nicht nachweisen konnte, dass der Käufer vor Vertragsabschluss über den Unfallschaden ordnungsgemäß informiert worden sei. Dem Vertrag sei nur zu entnehmen, dass entgegen der Annonce ein Unfallschaden laut Vorbesitzer vorliege - und dies nicht einmal in einer hervorgehobenen Form, die deutlich auf den Widerspruch zur Annonce hätte aufmerksam machen können. Dass der Käufer über Art und Umfang und Reparaturvorgänge informiert wurde, sei daher nicht erkennbar. Der Käufer konnte seinerseits aber durchaus glaubhaft machen, dass der nachträgliche Passus über den Unfallschaden laut Vorbesitzer von ihm nicht wahrgenommen wurde. Es sei auch keine Verhandlung über eine Kaufpreisreduzierung erfolgt, was angesichts des Kaufpreises, der auf einer Unfallfreiheit des Fahrzeugs beruhte, zu erwarten gewesen wäre. Zudem weise der Zusatz "laut Vorbesitzer" darauf hin, dass der Händler sich kein eigenes Bild vom Schadensumfang gemacht habe. Demnach habe der Händler hier seine Aufklärungspflicht verletzt, was ihn nun zur Rücknahme des Fahrzeugs verpflichtet.
Hinweis: Ein Verbraucher soll gegebenenfalls darüber informiert werden, dass die von ihm gekaufte Ware einen Mangel aufweist. Zwar ist im Gesetz eine Form hinsichtlich des erforderlichen Hinweises nicht vorgeschrieben, und es ist auch keine konkrete Beschreibung jeder einzelnen vom objektiven Standard abweichende Beschaffenheit erforderlich. Unzureichend ist es aber, dass ein Fahrzeug lediglich als Unfallfahrzeug bezeichnet wird. Wenn es sich wie hier um einen Unternehmer handelt, ist dieser als Verkäufer verpflichtet, über einen reparierten Vorschaden zu informieren - über Art, Umfang und Reparatur des Unfallschadens.
Quelle: LG Kiel, Urt. v. 08.05.2025 - 6 O 276/23
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(aus: Ausgabe 11/2025)
Nicht nur Fahranfängern wird es manches Mal mulmig, wenn sie einen Kreisverkehr passieren müssen. Dass diese rund verlaufende Fahrbahn mit mehreren Spuren und Abbiegemöglichkeiten durchaus ihre Tücken hat, zeigt dieser Fall, der vor dem Landgericht Lübeck (LG) landete. Dort trafen ein Autofahrer und ein Pedelecfahrer zum zweiten Mal aufeinander, um die Schuldanteile am zuvor erfolgten Zusammenstoß zu klären.
Der Beklagte befuhr im Kreisverkehr mit seinem Pedelec den Fahrradschutzstreifen. Der Autofahrer musste aufgrund eines Staus bremsen, so dass das Heck des Autos noch 20 bis 30 cm in den Fahrradschutzstreifen hineinragte. Der Pedelecfahrer kollidierte daraufhin mit dem stehenden Auto. Vor dem LG forderte der Autofahrer Schadensersatz in Höhe von insgesamt 8.613,05 EUR (inklusive Gutachterkosten) von dem Pedelecfahrer. Die Einzelheiten des Unfallhergangs waren zwischen den Parteien streitig.
Das LG entschied, dass der beklagte Pedelecfahrer 35 % der Schäden ersetzen muss. Die übrigen 65 % muss der Autofahrer tragen - insoweit hat das Gericht die Klage abgewiesen. Das Pedelec war im Streitfall als Fahrrad zu bewerten. Der Beklagte hätte laut Gericht mit seinem Pedelec äußerst rechts fahren müssen, da der Fahrradschutzstreifen Teil der Fahrbahn sei, auf dem das Rechtsfahrgebot gilt, weil er nicht von der Fahrbahn abgetrennt, sondern ein markierter Teil dieser Fahrbahn war. Wäre der beklagte Pedelecfahrer äußerst rechts gefahren, hätte er nach Überzeugung des Gerichts problemlos an dem Auto vorbeifahren können. Zudem war er zu schnell unterwegs. Er hätte seine recht hohe Geschwindigkeit verringern und überprüfen müssen, ob der Kläger ihn sehen würde. Schön und gut - aber warum muss der Kläger den Großteil der Schäden in Höhe von 65 % tragen? Ganz einfach: Ihn trifft die überwiegende Schuld, erstens aus der sogenannten Betriebsgefahr seines Fahrzeugs heraus. Zweitens sprach der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass sich der Unfall bei der Einfahrt des Klägerfahrzeugs im unmittelbaren Kreuzungsbereich des Kreisverkehrs ereignet hatte. Der Kläger wollte mit seinem Auto in einen Kreisverkehr einfahren und hatte daher grundsätzlich die Vorfahrt zu achten. Somit ging das Gericht von einem Vorfahrtsverstoß des Klägers aus.
Hinweis: Der Kläger hatte rechtswidrig auf dem Fahrradschutzstreifen gehalten. Beim Überfahren des Schutzstreifens darf der Radverkehr nicht gefährdet und auf dem Schutzstreifen nicht gehalten werden. Fahrradschutzstreifen sind ein durch eine gestrichelte Linie vom Rest der Fahrbahn abgetrennter Bereich für Radfahrer.
Quelle: LG Lübeck, Urt. v. 13.06.2025 - 9 O 146/24
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(aus: Ausgabe 11/2025)
Dass man mit Geld nicht alles kaufen kann, liegt unter anderem auch an Betrügern, die zwar das Geld wollen, aber dafür nichts zu geben bereit sind. Was passiert, wenn man einen beachtlichen Betrag anzahlt, weil man den Verkäufern von Luxusautos aufgesessen war, die augenscheinlich viel zu bieten, aber nichts zu liefern hatten, klärte das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG).
Die Klägerinnen kauften von den drei Beklagten vier exklusive Fahrzeuge - und zwar drei Ferraris für jeweils 700.000 EUR sowie einen Mercedes AMG für 3,25 Mio. EUR. Die Lieferung der Fahrzeuge blieb jedoch aus. Daher traten die Klägerinnen nicht nur von den Verträgen zurück, sondern beantragten nunmehr bezüglich ihres noch ausstehenden Rückzahlungsanspruchs von 700.000 EUR die Anordnung des dinglichen Arrests in das Vermögen der Beklagten. Ein solcher Vermögensarrest ist in der Tat eine Beschlagnahme einzelner Vermögensgegenstände, was man zumeist aus Meldungen zu "eingefrorenem" Vermögen kennt, um den späteren Zugriff auf diese Werte sichern zu können. Hier hatte das zuvor damit betraute Landgericht dem Antrag weitgehend stattgegeben.
Die darauf erfolgte Berufung der Beklagten hatte vor dem OLG keinen Erfolg. Die Klägerinnen konnten ihre Zahlungsansprüche glaubhaft machen, da die Beklagten sie über ihre Liefermöglichkeit getäuscht hätten. Es war davon auszugehen, dass den Beklagten die Beschaffung der Fahrzeuge tatsächlich nicht möglich war. Vertraglich hätten sie jedoch die Lieferfähigkeit konkludent zugesichert. Allen mit dem Handel hochpreisiger Fahrzeuge vertrauten Beteiligten sei zwar klar gewesen, dass die Fahrzeuge nicht bei den Beklagten in der Garage stehen, sondern erst beschafft werden müssten. Mit den kaufvertraglichen Formulierungen sei aber vorgetäuscht worden, dass die Beklagten die Fahrzeuge beim Hersteller bestellen und diese dann auch geliefert werden könnten. Nicht erkennbar sei es hingegen gewesen, dass die Verkäufer nicht nur keinen Kontakt zum Hersteller oder Verträge oder Zusicherungen von anderen Zwischenhändlern hatten - zum Zeitpunkt der Vertragsschlüsse habe noch nicht mal die Aussicht für den Erwerb der Fahrzeuge bestanden. Aufgrund dieses Irrtums zur Lieferfähigkeit hatten die Klägerinnen jedoch ihre Anzahlungen geleistet. Die Klägerinnen hätten auch einen Arrestgrund glaubhaft gemacht. Dieser sei anzunehmen, wenn ohne Arrest die Vollstreckung eines Urteils vereitelt oder wesentlich erschwert werden würde. Neben den hier vorliegenden Vermögensdelikten bestünden weitere Anhaltspunkte, dass die Beklagten ihre unredliche Verhaltensweise gegenüber den Klägerinnen fortsetzen und den rechtswidrig erlangten Vermögensvorteil und ihr sonstiges Vermögen dem Zugriff der Klägerinnen entziehen würden.
Hinweis: Ein Arrestbefehl soll verhindern, dass sich die für Vollstreckungsmaßnahmen zu Verfügung stehende Haftungsmasse des Schuldners durch eine zwischenzeitliche Veränderung der Verhältnisse verringert - sei es, dass Vermögensgegenstände verloren gehen oder unauffindbar werden.
Quelle: OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 25.07.2025 - 32 U 1/25
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(aus: Ausgabe 11/2025)
Zum Thema Sonstiges
- "Achtung, neue Bankverbindung": Wenn Kunde Werklohn an Betrüger überweist, haftet "gehackter" Unternehmer nur teilweise
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- Verstoß gegen die DSGVO: Steuererklärung trotz Hinweises an die alte Adresse gesendet - Kanzlei ist schadensersatzpflichtig
Dass digitale Freiheit und Flexibilität auch dem Verbrechen nützen, ist nicht neu. Dennoch werden Vorsichtsmaßnahmen immer wieder ignoriert, so dass sich im Nachhinein Gerichte wie das Landgericht Koblenz (LG) um den entstandenen Schaden kümmern müssen. In diesem Fall ging ein unstrittiger Rechnungsbetrag an eine angeblich neue Bankverbindung. Man ahnt; das Geld war verloren - nur: Wer trägt die (Haupt-)Schuld daran?
Anfang des Ganzen waren Zaunbauarbeiten, die ein Unternehmen auf einem Grundstück für einen vereinbarten Pauschalpreis von 11.000 EUR ausführte. Nach Rechnungsstellung erhielt der Unternehmer per WhatsApp Screenshots über Zahlungen von 6.000 und 5.000 EUR - allerdings auf ein fremdes Konto. Flugs stellte der Unternehmer fest, dass das Geld nicht auf seinem Konto eingegangen war, und informierte den Kunden. Dieser erklärte, er habe zuvor E-Mails vom vermeintlichen Account des Unternehmers erhalten, in denen eine neue Bankverbindung genannt wurde. Hätte der Unternehmer die Screenshots sofort geprüft, hätten die Banken die Überweisungen möglicherweise stoppen können, so die Auffassung des Kunden.
Das LG folgte dieser Argumentation jedoch nicht und gab der Klage des Unternehmers zu 75 % statt, einem Zahlungsanspruch von 8.250 EUR entsprechend. Das Gericht erklärte, dass sich der Kunde sich nicht darauf berufen könne, dass seine Zahlungen den Werklohn erfüllten, wenn die E-Mail möglicherweise nicht vom Unternehmer stammte. Allerdings sah das LG ein Mitverschulden des Unternehmers nach Art. 82 Datenschutz-Grundverordnung, weil er seine E-Mail und sensible Daten nicht ausreichend gesichert hatte, wodurch sein Account gehackt werden konnte. Dennoch hätte der Kunde beim Erkennen der fremden Kontoverbindung wachsam sein müssen. Die ohne Rückfrage erfolgte Überweisung auf ein ihm bis dahin unbekanntes Konto machte ihn ebenfalls mitschuldig. Deshalb wurde der Schaden auf 75 % zu Lasten des Kunden quotiert, so dass er lediglich 25 % gegenrechnen konnte. Somit hat der Unternehmer 2.750 EUR weniger erhalten als ursprünglich vereinbart.
Hinweis: Bei E-Mail-Kommunikation über Bankverbindungen ist stets Vorsicht geboten! Sensible Daten sollten besonders gesichert werden, und Zahlungen auf fremde Konten müssen immer kritisch geprüft werden.
Quelle: LG Koblenz, Urt. v. 26.03.2025 - 8 O 271/22
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(aus: Ausgabe 11/2025)
Der Politikbetrieb ist nicht erst mit Social-Media-Kanälen zu einem Haifischbecken geworden, jedoch zu einem weitaus umtriebigeren. Hier ging es um einen Beitrag auf dem Telegramkanal der Partei "Freie Sachsen", gegen den sich ein "Die Linke"-Abgeordneter zu wehren versuchte. Er war darin namentlich genannt worden, sah seinen Ruf damit gefährdet und klagte auf Schadensersatz. Das letzte Wort hatte hier der Bundesgerichtshof (BGH).
Der Abgeordnete der Partei "Die Linke" hatte für den 05.09.2022 eine Demonstration auf dem Leipziger Augustusplatz angemeldet. Die Partei "Freie Sachsen" meldete für denselben Tag eine eigene Versammlung an und veröffentlichte am 31.08.2022 einen Beitrag mit dem Motto "GETRENNT MARSCHIEREN, GEMEINSAM SCHLAGEN!", in dem mehrere Personen namentlich genannt wurden - darunter der Abgeordnete. Dieser erwirkte eine Unterlassungsverfügung, woraufhin die Beklagte den Beitrag am 03.09.2022 löschte. Anschließend verlangte der Abgeordnete 15.000 EUR Schadensersatz, weil er seinen Ruf durch den Eindruck einer Zusammenarbeit mit der Partei "Freie Sachsen" als Rechtsextremisten verletzt sah. Das Landgericht verurteilte die Beklagte zunächst zu 10.000 EUR, das Oberlandesgericht (OLG) hob das Urteil jedoch auf und wies die Klage ab.
Der BGH bestätigte letztendlich die Entscheidung des OLG. Nach Ansicht des Gerichts ließ sich aus dem Beitrag nicht eindeutig ableiten, dass der Abgeordnete tatsächlich mit der Beklagten zusammengearbeitet habe. Der Text war mehrdeutig und erlaubte somit verschiedene Interpretationen: Manche Leser konnten eine koordinierte Zusammenarbeit vermuten - andere verstanden lediglich, dass beide Demonstrationen zeitlich zusammenfielen, ohne dass eine Absprache bestand. Da der Beitrag auch als journalistische Berichterstattung im Sinne des Medienprivilegs zu werten war, konnte der Abgeordnete seinen Anspruch auch nicht aus der Art. 82 Datenschutz-Grundverordnung herleiten.
Hinweis: Eine Namensnennung in einem öffentlichen politischen Beitrag begründet allein keinen Anspruch auf Schadensersatz. Entscheidend ist, ob die Aussage eindeutig eine rechtswidrige Persönlichkeitsverletzung darstellt. Politische Berichterstattung und öffentliche Meinungsäußerungen genießen besonderen Schutz.
Quelle: BGH, Urt. v. 29.07.2025 - VI ZR 426/24
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(aus: Ausgabe 11/2025)
Eben noch gelacht vor lauter Frohsinn und schon fehlt ein Schneidezahn - es geht oft besonders schnell mit folgenreichen Versehen, wenn Sonne, Spaß, Wasser und womöglich gar Alkohol im Spiel sind. So musste das Landgericht Nürnberg-Fürth (LG) die Folgen eines Urlaubsspaßes bewerten und dabei die Frage klären, ob ein Mann, der beim Ballspielen vom Ball getroffen wurde und dabei einen Zahn verlor, Ersatz verlangen konnte.
Der Mann verbrachte gemeinsam mit mehreren Freunden Urlaub in Südeuropa. An einem Tag befand sich die Gruppe am Pool, unterhielt sich, wechselte ins Wasser und warf sich einen Ball gegenseitig zu. Zunächst war der Mann aktiv beim Ballspiel dabei. Später stand er mit einer Bierdose am Rand des Pools, warf weiterhin Bälle zurück. Da traf ihn ein Ball am Hinterkopf, er stieß mit dem Gesicht gegen den Beckenrand und verlor einen Schneidezahn. Er verlangte vom Ballwerfenden Ersatz für Zahnarztkosten in Höhe von 228 EUR und forderte Schmerzensgeld in Höhe von 2.250 EUR. Er behauptete, eindeutig gesagt zu haben, dass er nicht mehr mitspielen wolle.
Zuerst wies das Amtsgericht die Forderung des Mannes zurück, und schließlich bestätigte auch das LG diese Entscheidung. Es machte deutlich, dass eine Berufung keine Aussicht auf Erfolg habe. So zog der Mann sein Rechtsmittel zurück. Das Gericht sah die Zahnverletzung als Teil eines allgemeinen Lebensrisikos an. Wer an einem Ballspiel teilnehme, nehme bewusst das Risiko in Kauf, dass ein Ball daneben geht und jemanden treffen könne. Dieses Risiko war im konkreten Fall eingetreten. Aussagen der Urlaubspartner konnten nicht eindeutig zeigen, dass der Geschädigte klargestellt habe, nicht mehr mitspielen zu wollen. Im Gegenteil: Er hatte weiterhin Bälle aufgenommen und geworfen. Sein Verbleib im Wasser trotz Ballspiels bedeutete, dass er die damit verbundenen Gefahren akzeptierte. Einen sicheren Rückzug hätte er erreicht, indem er den Pool verlassen hätte. Hätte der Ballwerfer absichtlich auf seinen Kopf gezielt, wäre eine andere Bewertung möglich gewesen - diese Absicht ließ sich jedoch nicht feststellen. Das LG meinte auch, dass der Geschädigte durch sein Verhalten das Verletzungsrisiko selbst noch verstärkt habe, weil er mit einer Bierdose in der Hand im Wasser stand. Dadurch war eine angemessene Reaktion auf einen Sturz nur stark eingeschränkt möglich. Da er sich nicht klar genug aus dem Spiel zurückgezogen hatte, traf ihn also ein typisches Risiko des Spiels.
Hinweis: Hier ging es um eine Verletzung im Rahmen eines Freizeitspiels und um keinen absichtlichen Angriff. Der Anspruch scheiterte, weil das Risiko im Spielalltag lag. Wenn ein Ball bewusst auf den Kopf geworfen würde, könnte die Lage anders sein.
Quelle: LG Nürnberg-Fürth I, Urt. v. 14.04.2025 - 15 S 7420/24
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(aus: Ausgabe 11/2025)
Beim Design von Websites sollte in wettbewerbsrechtlicher Hinsicht bei dem Motto "Mach groß, mach bunt, mach laut!" stets Vorsicht geboten sein. Denn Verbraucherschützer haben ein Auge darauf, wenn Verbraucher manipuliert werden. In diesem Fall prüfte das Oberlandesgericht Bamberg (OLG), ob die grafische Gestaltung auf der Internetseite eines Ticketanbieters bei Abschluss einer Ticketversicherung zulässig war.
Einer der Global Player unter den Eventveranstaltern verkaufte über seine Website Eintrittskarten und bot gleichzeitig eine Ticketversicherung an. Beim Kauf erschien ein Hinweis auf die Versicherung in einem hellblauen Feld, das hervorgehoben war, während das Kästchen zum Anklicken weiß gestaltet war. Klickte der Nutzer auf "Weiter zur Kasse", öffnete sich ein weiteres Fenster mit einer fetten Überschrift, die erneut den Abschluss der Versicherung empfahl. Dort konnte zwischen einem weißen Button ("Ich trage das volle Risiko" = ohne Versicherung) und einem blauen Button mit der Versicherungsauswahl gewählt werden. Der Kläger - Dachverband der Verbraucherzentralen - hielt dies für irreführend und reichte Klage ein.
Das OLG stellte fest, dass die Beklagte sowohl durch die wiederholte Aufforderung (sog. "Nagging") als auch durch die visuelle Gestaltung der Buttons die Entscheidungsfreiheit der Nutzer unzulässig beeinflusste. Der Hinweis "Ich trage das volle Risiko" suggerierte den Verbrauchern, sie könnten ohne Versicherung den vollen Verlust des Ticketpreises erleiden, obwohl dies rechtlich nicht zutraf. Dadurch wurde der durchschnittliche Nutzer getäuscht und zur Versicherung gedrängt. Die Kombination aus wiederholter Nachfrage und dem bedrohlich klingenden Text überschritt die Schwelle zur unzulässigen Beeinflussung und verstieß damit gegen Art. 25 Abs. 1 Digital Service Act sowie gegen §§ 3 Abs. 2, 4a Abs. 1 Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb. Die Beklagte durfte diese Gestaltung daher nicht weiter verwenden.
Hinweis: Das Gericht lehnte jedoch ab, der Beklagten auch das erstmalige Versicherungsangebot im Warenkorb zu untersagen. Dieses werde zwar herausgehoben präsentiert - dennoch sei einfach erkennbar, dass die Versicherung optional sei und nicht etwa zwingend für den Kauf des Tickets erforderlich. Hier sah das OLG die Entscheidungsfreiheit der Nutzer nicht maßgeblich beeinträchtigt.
Quelle: OLG Bamberg, Urt. v. 05.02.2025 - 3 UKl 11/24 e
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(aus: Ausgabe 11/2025)
Die Automatisierung von Prozessen verspricht Zuverlässigkeit. Doch wie es so ist: Spielt der Mensch bei der Dateneingabe oder -pflege nicht korrekt mit, versagt auch dieses Prinzip. So musste sich hier das Amtsgericht Wesel (AG) damit befassen, wie hoch der erlittene Schaden ist, wenn aufgrund der unterlassenen Datenpflege durch eine Kanzlei die Steuerklärung Fremden in die Hände fällt - und das auch noch in einer kleinen Gemeinde, wo man einander kennt.
Die Mandanten hatten der Kanzlei im August 2019 per E-Mail ihre neue Adresse mitgeteilt und sie mehrfach daran erinnert. Bei der Erstellung der Steuererklärung für 2019 griff die Kanzlei jedoch automatisiert auf die alten Kontaktdaten zurück - die Erklärung wurde folglich also an die ehemalige Adresse geschickt. Dummerweise öffneten die neuen Bewohner auch noch den Umschlag - versehentlich - und sahen den Inhalt. Die Mandanten fühlten sich dadurch bloßgestellt, da es sich um sehr persönliche Daten handelte, unter anderem auch Gesundheitsinformationen. Und das alles in der kleinen Gemeinde, in der sie lebten, wo Diskretion wichtig war. Sie verlangten deshalb ein Schmerzensgeld von mindestens 15.000 EUR. Die Kanzlei argumentierte hingegen, dass die Mandanten möglicherweise einen Nachsendeauftrag hätten einrichten sollen und dass das Öffnen der Post durch die neuen Bewohner nicht ihre Schuld sei.
Das AG sprach den Mandanten einen immateriellen Schadensersatz von insgesamt 1.000 EUR zu, also jeweils 500 EUR pro Person. Die Kanzlei hatte gegen die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) verstoßen, weil sie die alte Adresse nicht vollständig aus ihren Daten gelöscht hatte. Dabei spielte es keine Rolle, dass die Adresse automatisch aus einem Programm eingefügt worden war. Das Gericht begründete die Höhe des Schadensersatzes damit, dass der Kontrollverlust über die Daten zwar einen Schaden darstellte, dieser jedoch deutlich unter der von den Mandanten geforderten Summe lag.
Hinweis: Auch kleine Fehler bei der Speicherung personenbezogener Daten können im Rahmen der DSGVO zu Schadensersatzforderungen führen. Automatisierte Prozesse entbinden Unternehmen nicht von der Verantwortung. Wer Mandanten- oder Kundendaten verarbeitet, muss diese regelmäßig prüfen und aktualisieren.
Quelle: AG Wesel, Urt. v. 23.07.2025 - 30 C 138/21
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