Aktuelle Rechtsprechung
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Zum Thema Arbeitsrecht
- Abfindung nach Jobverlust: Kein zusätzlicher Schonbetrag für Begleichung von Außenständen
- Arbeitsvertrag mit Ligaklausel: Vereinsstempel als Ersatz für zweite Unterschrift erfüllt Schriftform nicht
- Mutterschutz und Kündigungsverbot: Der gesetzliche Schutz gilt nur bei Einhaltung der terminlich korrekten Reihenfolge
- Ohne Betriebsratsbeschluss: Einzelne Betriebsratsmitglieder dürfen personalisierte E-Mail-Adressen einfordern
- Rechtlich unwirksam: Kein Verzicht auf Urlaub durch gerichtlichen Vergleich
Prozesskostenhilfe (PKH) soll es Menschen ohne eigene finanzielle Mittel ermöglichen, ihr Recht einzufordern und vor Gericht zu erstreiten. Da gerichtliche Erfolge oftmals auch Geldzahlungen zur Folge haben, bleibt dann die Frage, wie viel der Hilfe zurückerstattet werden muss. Das Landesarbeitsgericht Hamm (LAG) hat dies anhand einer Abfindung, die in einem Kündigungsschutzprozess eingeklagt wurde, vorgerechnet.
Der Kläger war ledig, hatte ein Kind und bekam PKH für ein Kündigungsschutzverfahren, das im Februar 2023 begann. Das Verfahren endete mit einem Vergleich, mit dem der Kläger eine Abfindung von 20.000 EUR brutto erhielt. Das Arbeitsgericht bewertete den Streitwert auf über 27.000 EUR und setzte auf dieser Basis auch die Anwaltsvergütung fest. Später verlangte das Gericht vom Kläger Nachweise über die erhaltene Abfindung. Da der Kläger keine Unterlagen vorlegte, berechnete das Gericht überschlägig, dass er 10.500 EUR aus der Abfindung als Vermögen habe, von dem er 4.742 EUR für die Prozesskosten zahlen müsse. Der Kläger legte Beschwerde ein und gab an, die Abfindung bereits verbraucht zu haben, um Außenstände zu begleichen. Das Arbeitsgericht senkte daraufhin den zu begleichenden Betrag auf 4.340 EUR.
Das LAG bestätigte diese Entscheidung und wies die Beschwerde ab, erlaubte aber die Revision zum Bundesarbeitsgericht. Das Gericht entschied, dass von der Abfindung ein Schonvermögen von 10.000 EUR abgezogen werden müsse, was durch eine Verordnung zum Sozialgesetzbuch geregelt sei. Zusätzlich werde für das Kind ein weiterer Schonbetrag von 500 EUR berücksichtigt. Ein weiterer Freibetrag für typische Kosten, die durch den Jobverlust entstehen können - wie Bewerbungen, Fahrten oder Umzüge -, wird seit einer Gesetzesänderung Anfang 2023 nicht mehr gewährt. Frühere Gerichte hatten noch einen zusätzlichen Schonbetrag zuerkannt, da sie solche Kosten für üblich hielten. Doch durch die Erhöhung des Schonvermögens auf 10.000 EUR entfalle dieser zusätzliche Freibetrag. Damit bleibt ein großer Teil der Abfindung als Vermögen anzurechnen, der für Prozesskosten eingesetzt werden kann.
Hinweis: Bei PKH zählt eine Abfindung grundsätzlich als Vermögen. Das Gesetz schützt zwar einen bestimmten Freibetrag, aber selbst typische Kosten nach Jobverlust werden seit 2023 nicht mehr extra berücksichtigt. Wer eine Abfindung erhält, sollte daher vorsichtig sein, wie er sie verwendet.
Quelle: LAG Hamm, Beschl. v. 06.05.2025 - 13 Ta 344/24
zum Thema: | Arbeitsrecht |
(aus: Ausgabe 08/2025)
Der alte Satz "Wer schreibt, der bleibt" bewahrheitet sich meist im Streitfall vor den Gerichten - so auch im Fall des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf (LAG). Hier ging es um die Einhaltung der sogenannten Schriftform bei Arbeitsverträgen. Wie wichtig diese Einhaltung ist - vor allem bezüglich Sonderklauseln wie der Ligaklausel -, zeigt der Umstand, dass das Fehlen einer von zwei Unterschriften das schriftliche Gesamtwerk schnell zunichte machen kann.
Der Kläger war seit Juli 2022 Trainer der ersten Handballherrenmannschaft eines Bundesligisten. Er arbeitete bei einer GmbH, die den Spielbetrieb der Mannschaft organisierte. Sein Arbeitsvertrag enthielt eine Ligaklausel, die besagte, dass der auf vier Jahre befristete Vertrag nur für die erste Handballbundesliga gelte und bei Abstieg oder Lizenzverlust ende. Auf dem Vertrag gab es zwei Unterschriftsfelder für die beiden Geschäftsführer der GmbH, die jeweils einzeln vertretungsberechtigt sind. Unterschrieben wurde der Vertrag aber nur von einem Geschäftsführer; das zweite Unterschriftsfeld blieb leer. Neben der Unterschrift war ein Vereinsstempel gesetzt. Dann kam Pech dazu: In der Saison 2023/24 stieg die Mannschaft ab und die GmbH erklärte daraufhin die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.06.2024 wegen der Ligaklausel. Der Trainer klagte dagegen.
Das Arbeitsgericht gab dem Trainer recht, und auch das LAG bestätigte diese Entscheidung. Das Gericht entschied, dass die Ligaklausel unwirksam war, weil sie nicht schriftlich im Sinne des Gesetzes vereinbart wurde. Nach dem Teilzeit- und Befristungsgesetz muss eine solche Klausel klar und vollständig schriftlich fixiert sein. Das Formular mit zwei Unterschriftsfeldern deutete darauf hin, dass beide Geschäftsführer unterschreiben müssen. Die fehlende Unterschrift des zweiten Geschäftsführers ließ den Vertrag unvollständig erscheinen. Selbst der Umstand, dass die beiden Geschäftsführer jeweils auch einzeln vertretungsberechtigt waren, spielte hierbei keine Rolle - denn Schriftform und Vertretungsbefugnis sind getrennt voneinander zu betrachten. Es fehlte außerdem ein Hinweis darauf, dass der eine Geschäftsführer allein handeln wollte. Der Vereinsstempel neben der Unterschrift konnte den Mangel nicht ausgleichen. Deshalb hielt das Gericht den Vertrag mit der Ligaklausel für unwirksam. Das Arbeitsverhältnis endete nicht automatisch mit dem Abstieg.
Hinweis: Die Revision zum Bundesarbeitsgericht wurde zugelassen. Bei Arbeitsverträgen mit besonderen Klauseln muss die Schriftform strikt eingehalten werden. Fehlende Unterschriften können zur Unwirksamkeit führen. Eine Unterschrift allein reicht nicht immer aus, auch wenn mehrere Vertreter einzeln unterschreiben könnten.
Quelle: LAG Düsseldorf, Urt. v. 27.05.2025 - 3 SLa 614/24
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(aus: Ausgabe 08/2025)
Schwanger, nicht schwanger, schwanger? Frauen mit einem dringenden Kinderwunsch stehen oft vor vielen Herausforderungen, bevor sie Mütter werden können. Auch ihren Arbeitgebern gegenüber haben sie Dinge zu berücksichtigen, damit der gesetzliche Schutz werdender Mütter greift. Hier musste sich das Landesarbeitsgericht Köln (LAG) damit beschäftigen, ab wann was gilt und wann die Schwangere über die Schwangerschaft informieren muss.
Eine junge Frau arbeitete in einer Kleintierarztpraxis. Sie war seit 2019 dort angestellt und kündigte im Juli 2023 eine Schwangerschaft an. Kurz darauf erhielt sie eine Kündigung vom Arbeitgeber. Die Frau klagte dagegen an und meinte, dass die Kündigung wegen Mutterschutzes ungültig sei. Sie war der Ansicht, dass das Kündigungsverbot schon ab 280 Tagen vor dem errechneten Geburtstermin galt und sie den Arbeitgeber rechtzeitig informiert habe. Der Arbeitgeber widersprach und erklärte, er habe erst später von der Schwangerschaft erfahren. Denn die Frau hatte zwischenzeitlich erklärt, doch nicht schwanger zu sein. Das Arbeitsgericht wies die Klage ab. Die Frau legte Berufung ein, doch auch das LAG bestätigte die Entscheidung.
Das LAG erklärte, dass das Kündigungsverbot 280 Tage tatsächlich vor dem errechneten Geburtstermin beginne - so, wie es das Bundesarbeitsgericht festgelegt habe. Wichtig sei dabei jedoch, dass die Schwangere den Arbeitgeber über eine wirkliche, aktuelle Schwangerschaft informiere. Eine Mitteilung über eine frühere oder womöglich kurz bevorstehende Schwangerschaft reiche nicht aus. Im vorliegenden Fall hatte der Arbeitgeber erst im September 2023 ein ärztliches Attest über die Schwangerschaft erhalten. Zu dem Zeitpunkt der Kündigung - zwei Monate zuvor - wusste er davon nichts. Auch die Nachrichten der Frau per WhatsApp im Juli 2023 an den Arbeitgeber über positive (und danach behauptet negative) Schwangerschaftstests waren nach Ansicht des Gerichts nicht ausreichend, da diese nicht die spätere Geburtsterminschwangerschaft betrafen. Daher war die Kündigung wirksam: Der Arbeitgeber hatte zum Kündigungszeitpunkt schlichtweg keinerlei Kenntnis von der relevanten Schwangerschaft. Zudem wurde die Kündigungsschutzklage seitens der Klägerin nicht rechtzeitig eingereicht.
Hinweis: Das Kündigungsverbot im Mutterschutz beginnt 280 Tage vor dem errechneten Geburtstermin. Der Arbeitgeber muss von der konkreten Schwangerschaft rechtzeitig und ebenso konkret erfahren haben, um im Kündigungsfall entsprechend belangt zu werden. Denn nur dann gilt der besondere Schutz vor Kündigung.
Quelle: LAG Köln, Urt. v. 17.04.2025 - 6 SLa 542/24
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(aus: Ausgabe 08/2025)
Betriebsratsmitglieder arbeiteten ohne personalisierte E-Mail-Adressen. Erst das Landesarbeitsgericht Niedersachsen (LAG) konnte final die Antwort auf die Frage liefern, ob der Anspruch der Betriebsratsmitglieder, dies zu ändern, auch ohne einen Beschluss des gesamten Betriebsrats durchsetzbar ist.
Die Arbeitgeberin betreibt zahlreiche Supermärkte in Deutschland. Die Betriebsratsmitglieder konnten eine gemeinsame E-Mail-Adresse nutzen, die zur Unternehmensdomain gehörte. Individuelle E-Mail-Adressen, die auch Mails an und von externen Adressen ermöglichen, stellte die Arbeitgeberin nur einigen freigestellten Betriebsratsmitgliedern und anderen ausgewählten Mitarbeitern zur Verfügung. Die Antragsteller forderten als Mitglieder des Betriebsrats ebenfalls personalisierte E-Mail-Adressen, um ihre Arbeit besser erledigen zu können. Ein Beschluss des gesamten Betriebsrats lag dazu nicht vor, da die Antragsteller meinten, sie handelten eigenverantwortlich. Das Arbeitsgericht wies den Antrag zurück, weil nur der Betriebsrat als Gremium Ansprüche auf Sachmittel habe und die erweiterten E-Mail-Adressen nicht notwendig seien.
Das LAG änderte diese Entscheidung. Es stellte fest, dass einzelne Betriebsratsmitglieder durchaus eigene Rechte auf Sachmittel nach § 40 Abs. 2 Betriebsverfassungsgesetz hätten, sofern diese für ihre Arbeit notwendig seien. Ein Beschluss des gesamten Betriebsrats sei nicht immer erforderlich, wenn einzelne Mitglieder eigenständig handelten. Die personalisierten E-Mail-Adressen, die auch eine Kommunikation außerhalb der Unternehmensdomain ermöglichen, seien in diesem Fall nötig, um die betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben wahrzunehmen. Die Idee, dass Ansprüche auf Sachmittel immer nur dem gesamten Betriebsrat zustünden, wies das LAG zurück. Es wäre nicht sinnvoll, wenn einzelne Mitglieder erst gegen den Betriebsrat klagen müssten, um einen positiven Beschluss zu erzwingen, bevor der Arbeitgeber die Sachmittel bereitstelle.
Hinweis: Betriebsratsmitglieder können also auch ohne entsprechenden Betriebsratsbeschluss eigene Ansprüche auf Arbeitsmittel haben - so auch auf E-Mail-Adressen, die auch den Kontakt außerhalb der Firma erlauben.
Quelle: LAG Niedersachsen, Beschl. v. 25.04.2025 - 17 TaBV 62/24
zum Thema: | Arbeitsrecht |
(aus: Ausgabe 08/2025)
Nicht genommene Urlaubstage sind nach Kündigungen oft Thema vor den Arbeitsgerichten. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) befasste sich mit der Frage, ob ein Arbeitnehmer quasi vorab mit einem Vergleich auf seinen gesetzlichen Mindesturlaub verzichten kann oder dieser erst bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausgezahlt werden darf.
Der Kläger war von 2019 bis April 2023 als Betriebsleiter beschäftigt. Im Jahr 2023 war er durchgehend krankgeschrieben und konnte daher auch seinen Urlaub nicht in Anspruch nehmen. Im März 2023 einigten sich Kläger und Arbeitgeber vor Gericht auf einen Vergleich. Darin wurde das Arbeitsverhältnis zum 30.04.2023 gegen Zahlung einer Abfindung beendet. In dem Vergleich stand, die Urlaubsansprüche seien "in natura gewährt". Die Prozessbevollmächtigte des Klägers hatte zuvor darauf hingewiesen, dass der gesetzliche Mindesturlaub gar nicht wirksam ausgeschlossen werden könne, stimmte dem Vergleich aber trotzdem zu. Nach dem Ende des Arbeitsverhältnisses verlangte der ehemalige Betriebsleiter, wie durch seine Anwältin bereits angedeutet, vom Arbeitgeber die Auszahlung von sieben Urlaubstagen aus dem Jahr 2023.
Sowohl die Vorinstanzen als auch das BAG gaben ihm Recht und wiesen die Revision des Arbeitgebers zurück. Das Gericht entschied, dass der Anspruch auf bezahlten Mindesturlaub nicht durch den Vergleich weggefallen war. Ein Verzicht darauf sei rechtlich unwirksam. Auch wenn der Urlaub wegen Krankheit nicht genommen werden konnte, darf der gesetzliche Mindesturlaub weder vorab ausgeschlossen noch durch eine Zahlung ersetzt werden. Das gilt selbst dann, wenn bei Abschluss des Vergleichs schon klar war, dass der Urlaub gar nicht mehr genommen werden könne. Das BAG bestätigte, dass der gesetzliche Mindesturlaub geschützt ist und nur bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausgezahlt werden darf. Ein "Verzicht" auf diesen Urlaub zu Prozesszeiten ist nicht möglich. Der Teil des Vergleichs, der das anders regeln wollte, war daher nicht gültig. Der Einwand des Arbeitgebers, der Arbeitnehmer dürfe sich nicht auf die Unwirksamkeit berufen, wurde zurückgewiesen, weil eine offensichtlich unzulässige Regelung schlichtweg nicht gelten kann.
Hinweis: Der gesetzliche Mindesturlaub ist ein besonders geschütztes Recht. Selbst bei Krankheit und Beendigung des Arbeitsverhältnisses kann man nicht einfach darauf verzichten. Urlaub muss entweder genommen oder am Ende ausbezahlt werden.
Quelle: BAG, Urt. v. 03.06.2025 - 9 AZR 104/24
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(aus: Ausgabe 08/2025)
Zum Thema Verkehrsrecht
- Anscheinsbeweis entkräftet: Nicht jeder Auffahrunfall ist allein dem Hintermann anzulasten
- Eingeschränkte Individualmobilität: Verbot für erlaubnisfreie Fahrzeuge nach Trunkenheitsfahrt auf Mofa und Weigerung zur MPU
- Gesamtumstände zählen: Gutgläubiger Erwerb eines Pkw in Betrugsfällen
- Gesteigerte Sorgfaltspflicht: Alleinhaftung nach fahrlässigem Anfahren aus Busspur
- Parklückenunfall: Haftungsverteilung nach Kollision zwischen Wendendem und Rückwärtsfahrendem
Der sogenannte Anscheinsbeweis bricht regelmäßig auftauchende Umstände und ihre entsprechenden Folgen quasi auf Erfahrungswerte herunter - sofern keine ungewöhnlichen Faktoren anderes nahelegen. Der Auffahrunfall ist dabei ein hervorragendes Beispiel für einen Klassiker vor den Verkehrsgerichten. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG) klärt auf, welche Umstände eben diesen Anscheinsbeweis, der regelmäßig gegen den Auffahrenden spricht, entkräften können.
Der Fahrer eines bei der Klägerin vollkaskoversicherten Pkw befuhr zunächst die linke von drei Fahrspuren einer Bundesautobahn. Eine Baustelle verengte die Fahrbahn auf zwei Fahrspuren und der Fahrer begann, auf den mittleren Streifen zu wechseln. Wegen des dort starken Verkehrsaufkommens fuhr er jedoch wieder auf die linke Spur zurück, ebenso wie das vor ihm fahrende Fahrzeug. Dann bremste eben dieses bis zum Stillstand ab. Der hinter ihm Fahrende tat dann dasselbe. Der hinter ihm befindliche Beklagte schaffte dies nicht - die beiden kollidierten, er fuhr dem Vordermann auf. Der Schaden des Klägers belief sich auf knapp 60.000 EUR, den dessen Versicherung im Wege des Regresses nun geltend machte.
Das OLG hat der Klage stattgegeben - aber nur zu 50 %. Der grundsätzlich gegen den Auffahrenden geltende Anscheinsbeweis greife hier nicht. Sowohl die unklare Verkehrslage als auch der atypische Geschehensablauf standen dem Anscheinsbeweis entgegen. Zudem sprach gegen den Anscheinsbeweis, dass der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs im unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem Unfall einen bereits zur Hälfte vollzogenen Fahrstreifenwechsel unvermittelt abgebrochen hatte. Der Fahrer hatte selbst erklärt, das Beklagtenfahrzeug auf der linken Spur nicht gesehen zu haben. Dies spreche dagegen, dass er sich vorschriftsgemäß durch Rückschau über den rückwärtigen Verkehr auf der linken Spur versichert habe. Hinzu kommt, dass er vor dem Einscheren auf die linke Spur nicht geblinkt und somit für den nachfolgenden Verkehr den Abbruch des zunächst begonnenen Fahrstreifenwechsels auch nicht angezeigt hatte. Der zeitliche und örtliche Zusammenhang mit dem gescheiterten Fahrspurwechsel lag ersichtlich noch vor. Gegen sein alleiniges Verschulden sprach allerdings die unklare Verkehrslage im Hinblick auf das Enden der vom Beklagten benutzten Fahrspur sowie das starke Verkehrsaufkommen, bei dem auch mit dem abrupten Abbremsen vorausfahrender oder die Spur wechselnder Fahrzeuge jederzeit gerechnet werden müsse.
Hinweis: Der grundsätzlich gegen den Auffahrenden sprechende Anscheinsbeweis ist entkräftet, wenn das vorausfahrende Fahrzeug im unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem Unfall einen bereits zur Hälfte vollzogenen Fahrstreifenwechsel unvermittelt abbricht, wieder vor dem auffahrenden Fahrzeug einschert und dort sein Fahrzeug bis zum Stillstand abbremst.
Quelle: OLG Frankfurt am Main, Urt. v. 29.04.2025 - 9 U 5/24
zum Thema: | Verkehrsrecht |
(aus: Ausgabe 08/2025)
Wer wegen mehrfacher Alkoholfahrten keine Fahrerlaubnis mehr besitzt, sollte sich nicht verführen lassen, sein Verhalten auf Fahrzeugen fortzuführen, für die keine Erlaubnis vonnöten ist. Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Saarlouis musste sich eines Alkoholsünders annehmen, der auch die anschließend verlangte medizinisch-psychologische Untersuchung (MPU) verweigerte - und zog den Mann nun buchstäblich aus dem (Straßen-)Verkehr.
Der Kläger ist in der Vergangenheit mehrfach alkoholisiert im Straßenverkehr aufgefallen und nicht mehr im Besitz einer Fahrerlaubnis. Im Juli 2019 führte er ein Mofa - als entsprechend erlaubnisfreies Fahrzeug - bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,83 ‰, über das er genau deshalb auch die Kontrolle verlor. Daraufhin forderte die Fahrerlaubnisbehörde ihn auf, seine Fahreignung medizinisch-psychologisch begutachten zu lassen. Dem kam der Mann jedoch nicht nach. Infolgedessen untersagte die Behörde ihm das Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge im öffentlichen Straßenverkehr. In der Begründung seiner Klage verwies der Kläger darauf, dass die Rechtsgrundlage unwirksam sei, auf die sich diese Untersagung stütze (§ 3 Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV)).
Der Verkehrssünder hatte vor dem OVG Saarlouis erwartungsgemäß keinen Erfolg. Da er es unterlassen habe, sich begutachten zu lassen, habe die Fahrerlaubnisbehörde darauf schließen dürfen, dass ihm die Eignung zur Teilnahme am Straßenverkehr selbst mit erlaubnisfreien Fahrzeugen fehle (§ 11 Abs. 8 FeV). Die Untersagungsverfügung stelle zwar einen schwerwiegenden Eingriff in die grundrechtlich geschützte Individualmobilität dar. Zudem sei angesichts der geringeren Masse und Höchstgeschwindigkeit erlaubnisfreier Fahrzeuge nicht von der Hand zu weisen, dass solche Fahrzeuge eine geringere Gefahrenquelle darstellten als erlaubnispflichtige Kraftfahrzeuge. Die Gefahr, die von ungeeigneten Führern erlaubnisfreier Fahrzeuge ausgehe, sei aber erheblich genug, um die dem Kläger gegenüber ergangene Anordnung zu rechtfertigen, sich medizinisch-psychologisch begutachten zu lassen. Denn andere Verkehrsteilnehmer könnten sich und Dritte erheblich gefährden, wenn sie wegen der unvorhersehbaren Fahrweise eines unter erheblichem Alkoholeinfluss fahrenden Mofa- oder Radfahrers zu riskanten und folgenschweren Ausweichmanövern verleitet würden.
Hinweis: Die Fahrerlaubnisbehörde kann nach einer Trunkenheitsfahrt mit einem erlaubnisfreien "Mofa" nach § 3 FeV ein Verbot aussprechen, mit erlaubnisfreien Fahrzeugen wie Fahrrädern oder E-Scootern am Straßenverkehr teilzunehmen. Andere Obergerichte sehen im Gegensatz zum OVG Saarlouis darin keine wirksame Grundlage, um das Fahren mit erlaubnisfreien Fahrzeuge zu verbieten (Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urt. v. 17.04.2023 - 11 BV 22.1234, und OVG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 20.03.2024 - 10 A 10971/23).
Quelle: OVG Saarlouis, Urt. v. 23.05.2025 - 1 A 176/23
zum Thema: | Verkehrsrecht |
(aus: Ausgabe 08/2025)
Was Juristen mit "Kommt drauf an" meinen, wenn sie pauschal Bewertungen zu Rechtsfällen abgeben sollen, zeigt dieser Fall des Landgerichts Frankenthal (LG) hervorragend auf. Die Vorlage eines Fahrzeugbriefs gilt bei einem Autokauf normalerweise als Beweis, es mit dem Eigentümer zu tun zu haben. Doch auch die weiteren Umstände können dazu führen, einen Betrug erkennen und sich im Nachhinein nicht auf einen gutgläubigen Erwerb stützen zu können.
Der Käufer hatte einen Pkw von einem Betrüger für mehr als 35.000 EUR erworben, doch die Freude währte nicht lang. Denn nur kurze Zeit nach dem Kauf beschlagnahmte die Polizei das Fahrzeug und gab es dem ursprünglichen Eigentümer zurück, der es anschließend für knapp 49.000 EUR weiterverkaufte. Der betrogene Käufer reklamierte nun den Kaufpreis; schließlich sei er trotz des Betrugs Eigentümer des Fahrzeugs geworden, nachdem er im Internet darauf gestoßen war und sich im Saarland zur Besichtigung verabredet hatte. Auf dem Weg dorthin habe er die Mitteilung erhalten, dass das Kind des Verkäufers einen Treppensturz erlitten habe und in einem Krankenhaus in Frankreich liege. Dorthin sei er nunmehr umgeleitet worden, wo der Kauf auf dem Parkplatz durch Barzahlung dann auch abgewickelt worden sei. Der Betrüger habe einen - vermeintlich - echten Fahrzeugbrief und einen belgischen Aufenthaltstitel vorgelegt. Er habe deshalb daran glauben dürfen, dass das Fahrzeug diesem auch gehört habe.
Das LG hat die Klage des betrogenen Autokäufers abgewiesen. Er habe als Käufer trotz Vorlage des scheinbar echten Fahrzeugbriefs grob fahrlässig gehandelt und das Fahrzeug daher nicht gutgläubig erworben. Denn die Umstände des Verkaufs hätten beim Käufer Zweifel erregen müssen, ob er den wahren Eigentümer vor sich hatte. Der Verkäufer hatte einen belgischen Aufenthaltstitel vorgelegt, obwohl im Kaufvertrag als Wohnsitz "Frankenthal" angegeben und das Fahrzeug mit deutschem Kennzeichen zugelassen war. Auffällig war ferner, dass der Verkäufer ursprünglich als Treffpunkt das vom angegebenen Wohnort abweichende Dillingen/Saar genannt habe. Typisch für unlautere Automobilgeschäfte dieser Art waren auch das Bargeschäft und die kurzfristige telefonische Verlegung des Verkaufsorts an einen fremden und noch dazu im Ausland befindlichen Ort. Nach alledem konnte der Käufer dem Vorwurf der groben Fahrlässigkeit nicht entgehen. Im Betrugsfall muss der Käufer das Fahrzeug dem wahren Eigentümer zurückgeben und bleibt folglich auf dem gezahlten Kaufpreis als Schaden sitzen.
Hinweis: Legt der Verkäufer beim Gebrauchtwagenkauf den Fahrzeugbrief vor, kann sich der Käufer normalerweise darauf verlassen, dass er es auch tatsächlich mit dem Eigentümer und nicht mit einem Betrüger zu tun hat. Der Käufer eines Gebrauchtwagens handelt trotz Vorlage eines Fahrzeugbriefs aber dann grob fahrlässig, wenn die Umstände Zweifel an der Eigentümerstellung des Verkäufers hätten erregen müssen.
Quelle: LG Frankenthal, Urt. v. 03.04.2025 - 3 O 388/24
zum Thema: | Verkehrsrecht |
(aus: Ausgabe 08/2025)
"Nur mal kurz!" hört man oft von Autofahrern, wenn sie verbotenerweise in zweiter Reihe halten. Ob frische Brötchen der Grund waren, die den Beklagten reizten, "nur mal kurz" auf einer Busspur zu halten, bleibt offen. Klar ist, dass das Kammergericht Berlin (KG) die Folgen zu verhandeln hatte, nachdem der Busspurblockierer mit einem anderen motorisierten Verkehrsteilnehmer zusammenstieß, der "einfach nur" rechts abbiegen wollte.
Ein Autofahrer, der in zweiter Reihe auf einer Busspur stand, wollte wieder anfahren. Er schlug zu diesem Zweck die Vorderräder nach links ein und setzte an, loszufahren. In dem Moment querte ein anderer Autofahrer zulässigerweise die Busspur. Denn die Busspur wies exakt an der Stelle unterbrochene Linien auf, um ein Überfahren der Spur in die Rechtsabbiegerspur zu ermöglichen. Man ahnt es - es kam zur Kollision. Der querende Fahrer verlangte daraufhin vollen Schadensersatz, der andere Beteiligte hätte seiner Meinung nach erst gar nicht dort stehen dürfen und vor allem beim Anfahren eine gesteigerte Sorgfaltspflicht beachten müssen. Das sah der Busspurhalter naturgemäß völlig anders, in seinen Augen war ausschließlich der Spurwechsler schuld.
In erster Instanz wurde dem Kläger 1/3 des Schadens zugesprochen, in der Berufung hatte er mehr Erfolg. Das KG entschied nämlich, dass der Anfahrende allein haftet. Zwar sei es richtig, dass ein Anfahren nach einem Halten in zweiter Reihe nicht dazu führt, dass die gesteigerten Sorgfaltspflichten unmittelbar gelten. Die Situation sei aber mit dem Anfahren vom Fahrbahnrand vergleichbar. Das Halten auf einem Busstreifen in zweiter Reihe sei verboten. Zudem war erkennbar, dass das Überfahren der Spur an dieser Stelle zulässig war, um die Rechtsabbiegerspur zu erreichen. Daher ergab die Abwägung der Verschuldensbeiträge, dass der Anfahrende alleine haftet. Den anderen Beteiligten treffe keine Schuld, denn für ihn sei überhaupt nicht erkennbar gewesen, dass der andere aus dem Stand anfahren würde.
Hinweis: Es besteht eine gesteigerte Sorgfaltspflicht, die Absicht zum Einfahren in den fließenden Verkehr rechtzeitig (mindestens fünf Sekunden zuvor) anzuzeigen (selbst bei Geradeausfahrt im Fahrstreifen) und dessen Vorrang zu beachten. Für den Beklagten galt somit beim Einleiten des bevorstehenden Fahrstreifenwechsels durch Anfahren aus zweiter Reihe zusätzlich die Pflicht zur äußersten Sorgfalt und Beachtung des Vorrangs des fließenden Verkehrs (§ 7 Abs. 5 Straßenverkehrs-Ordnung).
Quelle: KG, Urt. v. 27.03.2025 - 22 U 29/24
zum Thema: | Verkehrsrecht |
(aus: Ausgabe 08/2025)
Die Parklücke ist in manchen Straßen des Landes ein gar seltenes und entsprechend begehrtes Kleinod für den motorisierten Verkehrsteilnehmer, vor allem in Städten wie Hamburg. Eine solche Parklücke stand zuerst im Fokus zweier Autofahrer, bevor sie in den Mittelpunkt einer Entscheidung des Landgerichts Hamburg (LG) rückte. Die Frage war wie so oft: Wer haftet für den Schaden, und in welcher Höhe?
Es gibt Tage, an denen hat man kein Glück, und dann kommt auch noch Pech hinzu. So in etwa trafen eine Einparkende und ein Wendender zusammen, jeweils in ihren Fahrzeugen. Die Frau wollte gerade rückwärts in eine Parklücke einparken, als zeitgleich der Mann in seinem Pkw auf der Gegenfahrbahn wendete und ebenfalls in die Lücke einfuhr. Dass beide Verkehrsteilnehmer dieses Zusammentreffen als nicht erfreulich betrachtet haben, war klar. Dennoch kam es zu einem zweimaligen Wiedersehen - final vor dem LG, das über die Schadensersatzforderungen der beiden Beteiligten entscheiden musste.
Die erste Instanz legte noch paritätisch eine Haftungsquote von 50 : 50 fest. Damit war die Frau nicht einverstanden und legte Berufung ein. Das LG teilte ihre Ansicht und befand, dass eine Haftungsquote von 70 : 30 zu Lasten des Mannes angemessen sei. Als Wendender habe er nämlich sehen müssen, dass vor ihm ein Einparkmanöver stattfindet. Daher hätte sogar eine Alleinhaftung in Frage kommen können, da das Wendemanöver schlussendlich zur Kollision geführt habe. Es war aber zu berücksichtigen, dass die andere Beteiligte rückwärts fuhr und daher eine gesteigerte Sorgfaltspflicht hatte. Bei einem derartigen Einparkmanöver müsse nicht nur der unmittelbar hinter dem Rückwärtsfahrenden liegende Verkehrsraum beobachtet werden, sondern auch der seitlich liegende. Das habe die andere Beteiligte hier versäumt. Daher sei ihr ein Mitverschulden von 30 % anzurechnen.
Hinweis: Das Gericht stellte klar, dass die Pflicht zur Rückschau beim Rückwärtsfahren nicht mit einem einmaligen Blick in den Rückspiegel getan ist. Vielmehr wird eine ständige Beobachtung des Bereichs hinter dem Fahrzeug während des gesamten Rückwärtsfahrvorgangs gefordert. Dies dient dazu, auch Verkehrsteilnehmer zu bemerken, die sich erst während des Einparkmanövers nähern. Das Gericht betonte, dass man sich vergewissern müsse, dass der Gefahrraum hinter dem Fahrzeug frei ist und auch frei bleibt.
Quelle: LG Hamburg, Urt. v. 19.12.2024 - 323 S 22/23
zum Thema: | Verkehrsrecht |
(aus: Ausgabe 08/2025)
Zum Thema Sonstiges
- Haft und Schadensersatz: Kein Verjährungsschutz bei vorenthaltenen Sozialversicherungsbeiträgen
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Das Landgericht Lübeck (LG) musste sich mit der Frage beschäftigen, ob sich ein ehemaliger Geschäftsführer auf Verjährung berufen kann, wenn er Sozialversicherungsbeiträge nicht abgeführt hat. Es ging um eine gesetzliche Krankenkasse, die Schadensersatz verlangte, den die Deutsche Rentenversicherung (DRV) für sie geltend machte. Dass der Mann für seine 41fache Veruntreuung der Sozialleistungen sogar ins Gefängnis musste, half ihm bei der Nachforderung nichts.
Der Geschäftsführer einer GmbH hatte zwischen 2016 und 2018 mehrere Beschäftigte nicht zur Sozialversicherung gemeldet und dadurch einige fällige Beiträge eingespart. Nachdem das Hauptzollamt den Missstand entdeckt hatte, übernahm die DRV daraufhin die Prüfung. Die DRV stellte im Januar 2020 schließlich fest, wie viele Beiträge fehlten. Im Insolvenzverfahren der GmbH erhielt die Krankenkasse jedoch nur einen geringen Anteil, weshalb sie im September 2022 vom Geschäftsführer persönlich knapp 187.000 EUR Schadensersatz für das Jahr 2016 einforderte. Dieser meinte hingegen, die Forderung sei verjährt. Die Klage sei nicht rechtzeitig zugestellt worden, unter der angegebenen Adresse habe er zudem nicht gewohnt.
Das LG sah das anders. Die dreijährige Verjährungsfrist habe erst Ende 2019 zu laufen begonnen - für einen Schaden, der aufgrund der unterbliebenen Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen im Jahr 2016 entstanden war. Hiervon hatte die DRV 2019 Kenntnis erlangt - und eben dies sei entscheidend, nicht etwa die Kenntnisnahme der Krankenkasse. Auch sei die Klage "demnächst" im Sinne des Gesetzes zugestellt worden - die Verzögerung durch die falsche Adresse sei der Klägerin nicht anzulasten. Zudem habe die Klägerin rechtzeitig Gerichtskosten gezahlt und das Verfahren nach der strafrechtlichen Verurteilung des Geschäftsführers - er wurde 2023 wegen Vorenthaltens und Veruntreuung von Sozialversicherungsbeiträgen in 41 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt - wieder aufgenommen. Die Verjährung sei dadurch rechtzeitig gehemmt worden.
Hinweis: Wenn Arbeitgeber Beiträge zur Sozialversicherung nicht abführen, kann das teuer werden - auch noch Jahre später. Entscheidend für die Verjährung ist die Kenntnis der Rentenversicherung, nicht der Krankenkasse. Wer hofft, sich durch Formfehler der Haftung zu entziehen, hat schlechte Karten.
Quelle: LG Lübeck, Urt. v. 25.04.2025 - 10 O 255/23
zum Thema: | Sonstiges |
(aus: Ausgabe 08/2025)
Man pflanzt, zupft und gießt und plötzlich liegt man darnieder? Auf einem Friedhof gut möglich, wenn man nicht auf die naturgemäßen Unebenheiten achtet, die eine solche Ruhestätte nun einmal mit sich bringt. Das Landgericht Köln (LG) musste kürzlich entschieden, ob eine alte Dame nach ihrem Sturz auf einem Friedhof in Bergisch Gladbach dennoch einen berechtigten Anspruch auf Schmerzensgeld hat.
Die 79-Jährige war im Mai 2023 auf einem Friedhof vor einer Grabstelle gestürzt und hatte sich dabei den Oberschenkel gebrochen. Sie meinte, dass ein Betonsockel und Wurzeln durch Regen freigespült worden seien und dadurch eine gefährliche Stolperfalle entstanden sei. Diese Stelle habe sie nicht erkennen können. Die Stadt habe somit ihre Pflicht verletzt, für sichere Wege zu sorgen. Deshalb forderte die Frau 3.300 EUR Schmerzensgeld und klagte. Die Stadt sah das anders: Die Unebenheiten seien durchaus sichtbar gewesen, die Wurzeln hätten maximal eineinhalb Zentimeter aus dem Boden geragt, und auf einem Friedhof hätte die Frau mit derlei Stellen rechnen müssen. Außerdem sei der Unfall nicht auf einem Hauptweg passiert, sondern direkt an der Grabstelle.
Das LG schloss sich dieser Auffassung an und wies die Klage ab. Nach Ansicht des Gerichts hatte die Stadt keine Verkehrssicherungspflicht verletzt. Denn Fotos zeigten, dass die Stelle nicht gefährlich gewesen sei. Selbst auf normalen Gehwegen müsse man kleinere Höhenunterschiede von bis zu zwei Zentimetern hinnehmen - erst recht gelte das auf einem Friedhof. Dort müsse man mit Wurzeln, Bodenunebenheiten oder anderen natürlichen Hindernissen rechnen. Außerdem befand sich die Frau nicht auf einem Weg, sondern an einer Grabstelle. Wer sich dort bewege, müsse besonders aufmerksam sein.
Hinweis: Wer sich auf einem Friedhof bewegt, muss mit kleineren Unebenheiten rechnen. Eine Stadt muss nicht jede Wurzel oder jeden Sockel absichern. Nur bei klar gefährlichen Stellen besteht eine Pflicht, diese zu beseitigen oder zumindest zu kennzeichnen.
Quelle: LG Köln, Urt. v. 14.01.2025 - 5 O 245/24
zum Thema: | Sonstiges |
(aus: Ausgabe 08/2025)
So mancher Geschäftszweig bringt es mit sich, des Öfteren mit vollen Händen ins Glück zu fassen. In diesem Fall meldete eine Entrümpelungsfirma Anspruch auf einen Teil von über 600.000 EUR Bargeld an, das sie bei einer Wohnungsauflösung gefunden hatte - und zwar 100.000 EUR. Ob dieser stolze Betrag als Finderlohn oder mit Verweis auf eine Klausel der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) zu Recht eingefordert wurde, musste das Landgericht Köln (LG) bewerten.
Die Firma aus Bayern hatte die Wohnung einer Frau aufgeräumt, die nach Köln umziehen wollte. In der Wohnung fand das Team in Windelpackungen und anderen Verstecken Bargeld, Schmuck und Münzen. Insgesamt ging es um Werte im sechsstelligen Bereich. Laut AGB der Firma sollten alle Gegenstände in der Wohnung automatisch in ihr Eigentum übergehen, sobald die Arbeit beginnt. Die Firma gab das gefundene Geld aber auf Wunsch des Betreuers der Auftraggeberin an dessen Kollegin heraus. Später verlangte das Unternehmen dann doch noch Geld dafür - als Bezahlung oder wenigstens als Finderlohn.
Das LG sah für diesen Anspruch allerdings keine rechtliche Grundlage. Die Klausel in den AGB war schlichtweg unwirksam, da sie die Auftraggeberin unangemessen benachteiligt hatte. Niemand könne allein durch Vertragsklauseln einfach Eigentum an fremden Sachen erhalten. Das gelte besonders, wenn es um Wertgegenstände gehe, die an schwer zugänglichen Orten versteckt waren und bei einer normalen Wohnungsdurchsicht nicht auffallen konnten. Auch ein Finderlohn sei ausgeschlossen, weil das Geld nicht "verloren" gewesen sei. Die Wohnung und ihre Inhalte hätten weiterhin im dem Besitz der Auftraggeberin gestanden. Damit lag logischerweise auch kein Fund im rechtlichen Sinn vor.
Hinweis: Wertvolle Gegenstände in einer Wohnung gehören nicht automatisch der Entrümpelungsfirma. Wer sie findet, kann nicht ohne weiteres Eigentum oder Finderlohn verlangen. Ein klarer Vertrag oder eine besondere Vereinbarung wären nötig gewesen.
Quelle: LG Köln, Urt. v. 08.05.2025 - 15 O 56/25
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(aus: Ausgabe 08/2025)
Geldanlagen werden durch die digitalen Angebote nicht unbedingt einfacher. Da ist es gut, einen versierten Berater an seiner Seite zu wissen. Oder etwa nicht? Das Landgericht Stuttgart (LG) hat sich mit der Frage beschäftigt, ob eine Bank bei der Empfehlung eines offenen Immobilienfonds ihre Beratungspflicht verletzt habe. Im Mittelpunkt stand die Beratung einer unerfahrenen Anlegerin, die ihr Geld sicher anlegen wollte.
Die Kundin hatte sich Anfang 2023 bei ihrer Bank beraten lassen, wie sie 20.000 EUR investieren solle. Sie wollte das Geld für mehr als fünf Jahre anlegen und erklärte, dass sie gewisse Risiken in Kauf nehmen würde. Die Bank entwickelte daraufhin eine Strategie mit vier Bausteinen: zwei Fonds, ein Zertifikat und ein Festgeld. Unter anderem empfahl die Bank zudem einen offenen Immobilienfonds - und genau hier sah das LG den Fehler. Die Kundin hatte keinerlei Erfahrung mit solchen Fonds. Die Bank hatte ihr jedoch den Eindruck vermittelt, dieser Fonds sei besonders sicher und könne als "sicherer Baustein" im Depot dienen - so wie ein Festgeld. Die Kundin kaufte daraufhin Anteile für 5.000 EUR. Später bemerkte sie, dass der Fonds keineswegs so sicher war, wie sie gedacht hatte. Sie fühlte sich falsch beraten und wollte ihr Geld zurück.
Das LG gab ihr Recht: Die Bank hätte deutlicher erklären müssen, dass ein offener Immobilienfonds kein Ersatz für ein Festgeld ist. Auch, wenn das Produkt als risikoarm eingestuft war, unterlag es dennoch Wertschwankungen. Das Risiko, dass sich der Wert verändert oder dass das Fondsmanagement Fehlentscheidungen trifft, gehörte dazu - das hätte die Bank der Kundin deutlich sagen müssen. Weil die Bank dies versäumt hatte, musste sie der Kundin das Geld erstatten. Einen zusätzlichen Anspruch auf entgangene Zinsen oder Gewinne gab es hingegen nicht, da nicht klar war, in welches andere Produkt die Kundin stattdessen investiert hätte.
Hinweis: Wer sich bei Geldanlagen unsicher ist, sollte vor dem Kauf unbedingt nachfragen, wie sicher ein Produkt wirklich ist. Auch vermeintlich "ruhige" Anlagen wie Immobilienfonds können im Wert schwanken. Banken müssen ehrlich beraten - besonders bei Kunden ohne Vorerfahrung.
Quelle: LG Stuttgart, Urt. v. 15.05.2025 - 12 O 287/24
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(aus: Ausgabe 08/2025)
Wer hat sich nicht schon einmal gefragt, was wäre, wenn sich die Polizei bei einem Einsatz irrt und plötzlich im eigenen Schlafzimmer steht? Was in vielen Filmen für Schmunzler sorgt, war im Folgenden weder Irrtum noch witzig. Das Landgericht Köln (LG) musste im hier behandelten Fall entschieden, ob Mieter für die Schäden an der Wohnungstür haften können, die sie durch ihr Verhalten und den damit verbundenen Polizeieinsatz mitverursacht haben.
Ein Bauträger hatte eine Wohnung an eine Käuferin verkauft, die sie dann weitervermietete. Eben jener Mieter wohnte dort mit seinem Ehemann, als es im Juni 2021 zu einem heftigen Streit in den vier Wänden kam. Der Mieter selbst rief die Polizei und sagte am Telefon, dass sein Partner die Wohnung "auseinandernehmen" würde. Als die Polizei schließlich vor Ort eintraf, vernahm sie Lärm, der auf Streit hinwies. Sie klopfte und rief lautstark und gab sich zu erkennen - aber niemand öffnete. Schließlich brach die Polizei die Wohnungstür auf, weil sie von einem Fall häuslicher Gewalt ausgehen musste. Die Tür und besonders die Türzarge wurden dabei so stark beschädigt, dass sich die Reparatur auf über 17.000 EUR belaufen sollte. Die Eigentümerin der Wohnung wollte diesen Betrag von den Mietern zurück.
Das LG sprach ihr einen Teil davon zu. Dabei hatten die beiden Männer, die sich zum Zeitpunkt des Vorfalls in der Wohnung aufhielten, aber noch Glück und mussten "nur" rund 2.135 EUR zahlen. Sie hatten den Polizeieinsatz und damit auch die Türöffnung durch ihr Verhalten schlichtweg mitverursacht. Dass sie die Tür nicht selbst zerstört hatten, spielte dabei keine Rolle. Entscheidend war vielmehr ihr Verhalten, das den Polizeieinsatz notwendig gemacht hatte. Die Beamten hörten den Streit schon beim Betreten des Hauses und hatten gewarnt, dass sie Gewalt anwenden würden, wenn niemand öffnet. Laut Gericht war die Türöffnung daher rechtmäßig.
Hinweis: Wer durch eigenes Verhalten einen Polizeieinsatz auslöst, kann für die dabei entstandenen Schäden haften - auch wenn die Polizei die Schäden verursacht. Das gilt besonders bei Gewalt oder eskalierenden Streits in der Wohnung.
Quelle: LG Köln, Urt. v. 08.04.2025 - 32 O 77/22
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